Wir haben einige Tage gemütlich in Rabat verbracht, ich habe wieder ausreichend am Schiff herumgeschraubt, der Fokus liegt nun nicht mehr auf Reparaturen sondern ich habe einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Schiffs KVP) eingeleitet. Mit unseren Stegnachbarn Bill und Judy von BE-BE machen wir einen Ausflug in die Medina zum Staunen und Essen, zum Großeinkauf überfallen wir den Carrefour in Sale.
Dann machen wir uns wieder auf und reisen bequem mit der Bahn erster Klasse nach Marrakesch. Unsere Unterkunft ist ein Riad mitten in der Medina, wir nehmen ein Taxi vom Bahnhof. Diesmal sind wir gut vorbereitet, mit Google maps und einem Navigationsprogramm habe ich schon genau markiert wo wir hin müssen. Wir ignorieren die ersten Taxi-Schlepper direkt am Bahnhof, die uns für nur 50 Dirham zur Medina bringen wollen (very cheap mister), halten ein Taxi auf und überreden den Fahrer sanft, das Taxameter einzuschalten (es ist doch nicht kaputt, man muss nur probieren und alles geht wieder). Wir haben unser Taxi Lehrgeld in Fes bezahlt, 100 Dirham (10 Euro) hätte der vom Hotel organisierte Taxi Transfer gekostet, 50 Dirham haben wir dann als Festpreis einem Taxifahrer bezahlt um dann am Rand der Medina abgesetzt zu werden, 10 Dirham hat die Rückfahrt zum Bahnhof mit Taxameter gekostet. Wir haben also so eine Art Taxigast-grundausbildung mitgemacht und damit werden wir um 25 Dirham in Marrakesch direkt in das Herz der Medina gefahren, in die Nähe vom Hotel und soweit das Taxi halt wegen der sehr engen Gassen fahren kann. Ein großzügiges Trinkgeld zaubert dann ein Lachen in das Taxler-Gesicht und wir sind alle sehr zufrieden.
Die Medina ist vielfach autofrei, aber wohl einfach deswegen, weil die Straßen zu eng zum Durchkommen sind. Aber alles was fahren kann und schmäler ist als eineinhalb Meter bewegt sich mit Höchstgeschwindigkeit, Eselkarren, Pferdekutschen, Handwagen, Fahrräder und Mopeds sowie diverse andere Gefährte für die es im Westen noch keine Namen gibt. Mopeds knattern mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Menschenmassen, es ist für uns Europäer völlig unverständlich warum es nicht ununterbrochen zu Zusammenstößen kommt, im letzten Moment wird gebremst, es werden Haken geschlagen, abenteuerliche blitzschnelle Ausweichmanöver durchgeführt und millimetergenau an den Zehen vorbeigefahren. In vielen Jahrhunderten hat sich hier wohl durch die Medinaevolution und harte Auslese ein besonderes Zusammenleben zwischen Mopeds, Eselkarren und Fußgängern entwickelt, Marrakesch ist so eine Art Moped-Galapagos. Gäbe es eine Weltmeisterschaft im Moped-Trickfahren – die ersten hundert kämen alle aus der Gattung MMM (Marrakesch Medina Mopedfahrer).
Wir erhalten von unserer französischen Riad-Wirtin eine gute Einführung in Marrakesch, die ersten Ausritte in der Medina machen wir mit ihr als Vorreiter, dann werden wir mit vielen Tips zum Einkaufen und mit allgemeinen Verhaltensregeln zum Umgang mit Taschendieben und Soukverkäufern alleine auf die Reise geschickt. Wir (pluralis majestatis) wollen gar nichts kaufen, am Ende des Tages kommen wir (siehe oben) wie ein Packesel bepackt zurück.
Wir streifen auf „dem grossen Platz“ herum, machen einen Bogen um die dressierten Affen und die armen beschwörten Schlangen, hören einem Märchenerzähler zu (vielleicht war es auch ein kostümierter arabischer Lokalpolitiker bei einer Wahlrede, wir haben ja nichts verstanden), bewundern die Akrobaten und Musiker und nachdem wir ungefähr 27 mal „maybe tomorrow“ (gefühlte mindestens 1179 mal) zu einem der Lokalschlepper gesagt haben essen wir an einem der appetitlichen und bunten Stände in der Gastronomie-Meile eine traditionelle Suppe, die kostet 3 Dirham und gewährt uns für die Dauer der Einnahme Schutz.
Wir haben wunderbare marokkanische Lederschlapfen im 1001 Nacht Design erworben, vorne aufgebogen wie ein türkisches Krummschwert und sehr bequem. Wenn ich mir nun noch einen Kaftan zulege dann sehe ich aus wie ein mit Wachstumshormonen behandeltes Heinzelmännchen.
Wenn wir irgendwo stehen bleiben, in den Stadtplan schauen oder einfach nur ein ratloses Gesicht machen (was einem hier schnell passiert) dann ist blitzartig jemand zur Stelle um uns zu helfen. In der Medina sind es Kinder, die uns den Weg zum Riad zeigen wollen, mit viel Intuition folgt wir dem der uns dann auch richtig führt und nicht dem der schon von vornherein sorgenvoll erklärt „it is closed“. In den Souks haben wir plötzlich – ohne es zu wollen – einen Führer, der wie ein wandelndes Leuchtfeuer immer 10 Meter vor uns marschiert und uns den Weg zum Gewürzbasar weist. Wir biegen dann sehr zu seinem Missfallen nach rechts ab und kommen wirklich zum Gewürzbasar, zu welchen Gewürzen er uns geführt hätte möchte ich gar nicht wissen. Soviel offene und aktive Hilfsbereitschaft ist mir als eigenbrötlerischen Gebirgsbewohner schon fast etwas zu viel, aber ignorieren hilft nichts, man wird so lange traktiert bis man eine Antwort gibt. Das Zauberwort heisst „maybe later“ und damit können beide Seiten ohne Gesichtsverlust weiter gehen. Bietet einem jemand freundlich Hilfe an, dann kann man davon ausgehen, dass er etwas vorhat, das einem die Brieftasche erleichtert, und dennoch sind wir davon überzeugt, dass man, bräuchte man wirklich Hilfe, diese auch sofort bekommen würde.
Marrakesch beansprucht alle unsere Sinne, so intensiv, dass es anstrengend ist. Es ist laut, Mopeds knattern, es wird überall getrommelt und gesungen, Knaller werden gezündet, Waren werden lautstark angepriesen, es blinkt und glitzert in den Geschäften und dann kommt noch ein ganzes Universum an Gerüchen dazu, eine wilde Mischung aus Parfum, Kochdüften in allen Varianten, Gemüse, Obst und Schlachtgerüchen, Fisch, Fleisch und Blut, Leder, Mopedabgasen, Müll und diversen menschlichen und tierischen Ausscheidungen. Der nicht endend wollende Verkehr gibt mir den Rest, nach so einem Tag in der Medina bin ich erledigt und falle ins Bett, wenn ich die Augen zumache dann zischen noch die Mopeds umher und überall bewegt sich alles.
Die Medina von Marrakesch folgt keinem logischen Aufbau, vernünftig breite Straßen enden an einer Mauer, winzige Durchgänge sind Hauptverkehrsadern, wo man links gehen sollte muss man rechts gehen, oben ist unten und vorne hinten. Und ein Wunder geschieht – Tadeja, die sonst immer sofort die Orientierung verliert und links und rechts vertauscht, bewegt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch das Chaos, während ich mit meinem eingebautem Navigationssystem ins Stolpern komme. Es muss sich um eine Drehung des Logik – Raum – Kontinuums handeln, eine Marrakesch Singularität, die durch eine übermäßige Anhäufung von technischen Universitäten in anderen Teilen der Welt ausgeglichen wird.
Das Zentrum von Marrakesch ist der Platz der Gehenkten, hierher kommen am Abend die Menschenströme aus allen Richtungen zusammen um ins Leben einzutauchen. Es wird gegessen, getrunken und getanzt, Lampen, Schildkröten, Gewürze und allerhand Tand wird verkauft, Menschen mit und ohne Pferd, Moped und Esel bewegen sich in alle Richtungen, und wenn dann die Trommeln einsetzen dann beginnt der Platz wie ein großes uraltes Wesen zu leben, eine Energie wogt hin und her und wie ein großes Herz halten die Trommeln den Kreislauf in Bewegung. Wir sitzen auf der Dachterrasse des Cafe de France und lassen uns von der Stimmung gefangen nehmen, eine unbestimmte Sehnsucht ergreift uns und wir werden eins mit der Umgebung.
Wir sind nun schon seit genau einem halben Jahr unterwegs, vor sechs Monaten bin ich in die Türkei auf die KALI-MERA übersiedelt. Die Zeit ist rasend schnell vergangen, auch wenn es im Rückblick ein sehr langer Zeitraum war. Wir haben so viel Neues erlebt und die Zeit war intensiv, in der Erinnerung dehnt sie sich weiter aus. Und auch wenn wir uns anfangs offen gelassen haben wie lange wir wirklich unterwegs sein wollen, vorerst ist von Rückkehr noch keine Rede…
Hallo Ihr Lieben,
habe mir wieder einmal Zeit genommen, euren Weg zu verfolgen. Toll, was ihr alles erlebt habt! Von Marokko kennen wir nur Casablanca und Agadir; werdet ihr dort auch noch hin kommen?
Nach unserem Beisammensein in Ungarn habe ich viel an dich gedacht, Tadeja und wie es wohl deiner Mutter geht. Ich hoffe, ihr hattet eine schöne Zeit zusammen.
Unser Segeltörn in der Türkei war sehr schön! Ein luxuriöses Schiff, dieser Katamaran, sehr viel Platz, toll ausgestattet; wir hatten herrliches Wetter, das Meer war warm und angenehm „wie Seide“. Der einzige Nachteil: es gab keinen Wind und wir sind – bis auf einen Segelsetz-Versuch, der ca 1/2 Stunde gedauert hat – nur mit dem Motor gefahren.
Freitag fahren wir mit Charissa und Harald nach Venedig. Da solltet ihr eigentlich auch dabei sein, weil ihr damals bei dem Venedig-Besuch nicht mit ward! Wir werden an euch denken!
Ich umarme euch ganz herzlich, Traude
Lieber Herbert, wir feiern grad Deinen Geburtstag. Leider ohne Euch aber umso ausgelassener. Sitzen im Hirter Braukeller und sind am Weg nach Venedig. Wir hoffen, es geht euch gut und genießt die Zeit. Lass Dich auch in der Fremde verwöhnen. Ganz, ganz viele liebe Wünsche. Herzliche Grüße von Traude, Charissa, Otto und Harald. Natürlich auch an Tadeja.
Lieber Freunde, da bedanke ich mich gleich einmal und freu mich dass Ihr an mich denkt! Gerne wären wir da auf der venedig-Reise dabei und hoffen dass sich später einmal eine ähnlich Gelegenheit ergibt bei der wir Euch begleiten können. ganz liebe Grüße nach Venedig!
Lieber Herbert,
wir sind von den tollen Fotos begeistert.
Werde auf dich heute noch anstoßen.
Lg aus Pitten von Johanness, Saskia und Chris
Liebe Freunde, super dass Ihr daheim mit uns feiert :-), und es freut mich wenn die Bilder gefallen!! Alles Liebe, Herbert