Nachdem wir die KALI MERA in Chiapas wieder auf Vordermann gebracht haben geht es endlich ans Besichtigen, ein volles Programm wartet auf uns: Zuerst ein Tagesausflug mit anderen Seglern ins Landesinnere, der polyglotte Toni (er lehrt Englisch an der Uni, unterrichtet in seiner Sprachschule Deutsch und auch mit den Franzosen kann er sich fließend unterhalten) ist unser Fahrer und Guide. In einer Iguana-Aufzucht-Farm sehen wir tausende von den grün-grauen Gremlins, in einer Krokodilfarm besichtigen wir Gürtel, Brieftaschen und Schuhe im noch lebenden Zustand (ich glaube verarbeitet sind sie dann glüklicher), eine Mayja Ausgrabung besuchen wir und in einem kleinen traditionellen Kakao-Betrieb zeigt uns die betagte aber äußerst quirlige Chefin, wie sie den Kakao röstet, siebt, mahlt und zu einer Schokolade-Paste endverarbeitet, alles in Handarbeit wie schon seit über tausend Jahren. Dann geht es weiter ins Gebirge, zum Vulkan, in einem Bergdorf genießen wir lokalen Kaffee und die frische Luft.
Tags darauf buchen wir kurzentschlossen eine Fahrt mit dem Ticabus nach Antigua Guatemala. An der Grenze zu Guatemala (wir müssen aussteigen und die Formalitäten erledigen) werden wir sofort nach allen Regeln der Kunst ausgenommen, als Ticabus-Mitarbeiter „getarnte“ Betrüger führen uns zum Ausreiseschalter, alles muss ganz schnell gehen, der Bus wartet, ein riesiges Durcheinander wird inszeniert, dann sind plötzlich unsere Pässe weg, wir müssen „Einreisegebühr zahlen“, Geldwechsler scharen sich um und betrügen uns unter fachgerechten Anleitung unseres „Guides“, am Ende bekommen wir unsere Pässe mit einem Einreisestempel wieder, ohne jemals einen Offiziellen aus Guatemala gesehen zu haben. Wir sind ca. 150 Dollar ärmer und eine wertvolle Erfahrung reicher. Nicht nur uns, sondern auch zwei jungen deutschen Backpackern wird das Geld mit der gleichen Masche abgenommen, ein Monatslohn wird in wenigen Minuten ergaunert.
So unerfreulich der erste Kontakt mit Guatemala war, so schön ist dann dafür unser restlicher Aufenthalt. Die Tage in Antigua, der vielleicht schönsten kolonialen Stadt Mittelamerikas, vergehen schnell. Die alte Stadt ist in einem wunderbaren Zustand, die Häuser sind liebevoll renoviert, die schöne Architektur ist eine Wohltat, das Klima frühlingshaft. Von den Dachterrassen aus kann man den rauchenden und Feuer spuckenden Vulkan sehen, einen überlebenden Gott der Mayas, eine ständige Erinnerung an die Macht der Natur, erst letztes Jahr ist er in einer gewaltigen Eruption ausgebrochen und hat viele Menschenopfer gefordert.
Die Stadt ist blitzsauber und völlig sicher, es gibt wunderbare Kaffeehäuser und Restaurants, wir flanieren herum und lassen es uns gut gehen, genießen die Atmosphäre und die Kulinarik, und tauchen abends in die Musikszene ein. Auf unseren Streifzügen wandern wir auch etwas aus der Altstadt hinaus, sobald wir die touristische Zone verlassen da ändert sich der Eindruck leider schlagartig, Berge von Unrat und Schmutz liegen neben der Straße, und die Armut ist überall greifbar, ein schmerzhafter Kontrast.
Nach Flores leisten wir uns den Luxus eines Fluges, dort verbringen wir zwei Tage in entspannter touristischer Atmosphäre, viele Backpacker haben es sich hier gemütlich gemacht, es ist eine bunte internationale Gemeinschaft. Um halb fünf in der Früh sitzen wir schon im Bus von Flores nach Tikal, damit wir zu den ersten Besuchern gehören und die Anlage noch „für uns alleine“ haben (um sechs Uhr wird aufgesperrt und wir sind die ersten Gäste). Wir nehmen nicht den Hotel-Bus um 50 Dollar sondern den Minibus um 10 Dollar, vollgepackt mit jungen Reisenden aus aller Herren Länder, guter Stimmung und junger frischer Energie. Tikal ist großartig, auch wenn wir die mexikanischen Maya Highlights schon fast alle besucht haben, diese Ausgrabung übertrifft unsere Erwartungen. Ein riesiges Areal, gewaltige Tempel im Dschungel, es ist so weitläufig, dass sich die Besucher „verlaufen“, an manchen Plätzen kann man ganz alleine und in völliger Ruhe die Stimmung aufnehmen, viele Pyramiden, Tempel und Paläste kann man „erklettern“ und hautnah entdecken. Ungefähr eineinhalb Jahrtausende war Tikal das politische, kulturelle und spirituelle Zentrum der Majas, das Ende kam dann nicht durch Kriege, wie sonst so üblich, sondern durch Klimaveränderungen. Die Stadt musste aufgegeben werden und der Dschungel holte sich in kurzer Zeit zurück, was ihm von über 100 Generationen abgerungen wurde.
Neun Stunden streifen wir durch die gigantische Anlage und haben immer noch erst einen Teil gesehen, vieles ist noch nicht ausgegraben und schlummert unter dichtem Bewuchs, überall kann man Hügel erkennen unter denen Tempel und Pyramiden von vergangener Größe träumen, bis sie irgendwann, gekitzelt durch Archäologen, wieder aufwachen werden. Nach dem Pyramiden-Wandertag geht es mit dem Bus zurück nach Flores, begeistert, hungrig und müde – aber nach einem Service-Stop im Restaurant wird der Abend noch einmal sehr nett, auf der großartigen Dachterrasse der Absteige unserer Tikal-Busbekanntschaften (Booking.com: „Achtung, Bettwanzen“) hören wir die Lebens- und Reisegeschichten einer jungen Generation. Menschen auf Reisen – da wird es nicht langweilig, und wir sind ziemlich beeindruckt über so viel Engagement und Lebenserfahrung im zarten Alter von unter 25 Jahren.
Der Rückflug nach Guatemala City mit der kleinen Propeller-Maschine, in der wir direkt hinter dem offenen Cockpit sitzen, wird zum Erlebnis, es geht in der Nacht durch die hohen Gewittertürme, rund um uns sieht man die Blitze aufleuchten, mir ist beim Fliegen sowieso immer unwohl und diesmal muss ich besonders aufpassen, ich habe immer das Gefühl, das Flugzeug bleibt nur wegen meiner ständigen Konzentration in der Luft…
Weiter geht es nochmals nach Antigua, einen Abend in der bezaubernden Stadt, das Konzert von Freunden wollen wir hören, dann sausen wir in der Früh schon wieder zurück mit dem Ticabus nach Tapachula in Mexiko. Die Überlandbusse sind schnell und komfortabel, mein „Mietwagendogma“ kommt ins Wanken, wir sitzen in der ersten Reihe, haben einen tollen Rundumblick und wenn ich ein Nickerchen mache sind wir nicht sofort im Straßengraben.
Guatemala war ein besonderes Erlebnis, großartig, voller Kontraste, arm und reich, schmutzig und gediegen, betrügerisch und liebenswürdig, schrecklicher stinkender Verkehr und kontemplative Stille, Slums und faszinierend schöne Bauwerke.
In Guatemala hätten wir es noch länger ausgehalten, aber ein Wetterfenster für die Querung des berüchtigten Golfs von Tehuantepec hat sich aufgetan, das wollen wir unbedingt nutzen. Es kann mehrere Wochen dauern, bis der Golf passierbar ist, schwere Stürme sind hier an der Tagesordnung, und unsere Uhr für die Reise in die Sea of Cortez tickt immer lauter. Mitte Mai beginnt hier bereits die Hurrican-Saison und wir haben noch fast 1500 Seemeilen vor uns, um vor den Stürmen in Sicherheit zu sein.
Tadeja kocht für die Passage vor, ich mache den nötigen Ölwechsel, wir tanken die KALI MERA voll und bereiten alles für die Überfahrt vor. Auf Grund des stabilen Wetterberichts fahren wir die direkte Route quer über den Golf, wenn Gefahr für Nordwind besteht muss man unbedingt den Golf knapp am Ufer entlangfahren, nicht der Wind alleine ist das Risiko, sondern die blitzartig entstehende schwere See mit hohen kurzen Wellen macht das Gebiet so gefährlich. „One foot on the beach“ soll man hier segeln, die laut nautischer Literatur einzig sichere Strategie für den Golf. Wir queren dennoch direkt und werden wir mit einer relativ angenehmen Fahrt belohnt, die ersten 36 Stunden sind ruhig, wir können segeln und motor-segeln, Delphine sind ständig um uns, auch große Wale sehen wir neben dem Boot. Ein kleiner Thun schnappt sich unseren Köder und landet als Filet in der Gefriertruhe. Während wir früher fast ständig geangelt haben, kommen jetzt die Köder nur noch selten ins Wasser, es gibt hier so viele Fische, dass wir mit einem Biss rechnen können, und wir fangen nur was wir kurzfristig verspeisen. Filets werden vakuumverpackt, da würden sie auch im Kühlschrank einige Tage frisch bleiben, aber ein kurzes „Durchfrieren“ tötet allfällige Parasiten, die im Fleisch sein könnten, zuverlässig ab und hat keine Auswirkung auf die Qualität.
Aufregung gibt es, als wir knapp vor Mitternacht mit dem Kiel eine starke Leine fangen und Leine und aufgeregte Fischer hinter uns herziehen, es dauert ein wenig bis wir verstehen, was ihre Lichtsignale bedeuten. Es wimmelt hier von langen Schwimmleinen
, die in der Nacht für uns völlig unsichtbar sind. Wir sind fast 100 Meilen vom Land entfernt und dennoch wird hier mit kleinen Pangas (einfache offene Motorboote mit Außenboarder) gefischt, ich bewundere den Mut dieser Fischer. Ich habe gerade ein wenig geschlafen, bis Mitternacht hat Tadeja immer Wache und sie weckt mich auf, was wollen die Fischer von uns? Sie blinken uns an, Funk haben sie wohl keinen, SOS ist es nicht, eine wildgewordene Lichtorgel hinter uns – wir stoppen die KALI MERA und sehen die Leinen – Bescherung. Die Panga kommt an unsere Seite, zwei junge freundliche Männer sind es, die hier mutterseelenallein auf hoher stockdunkler See Ihre Yachtfallen auslegen, mit Ihrer Hilfe befreien wir die Leine. Nicht das erste Mal sind wir heilfroh über das Design unseres Unterwasserschiffs, Ruder und Propeller sind so geschützt, dass eine Leine dort nicht leicht einen Schaden anrichten kann. Am nächsten Tag weichen wir einer Leine aus, die fast drei Meilen lang ist, die Bojen kann man nur am Tag sehen. Die Fischer, Netze und Leinen machen eine kontinuierliche Nachtwache auch weit draußen notwendig, es ist immer einer von uns am Ausguck.In der zweiten Nacht wird es ruppig, der Wind legt zu, hart am Wind müssen wir mit den kurzen steilen Wellen kämpfen, die Strömung ist gegen uns, wie so oft in diesem Jahr wird es eine Nacht ohne Schlaf für mich. Die Wellenfrequenz beträgt nur wenige Sekunden, die Wellen sind bis zu drei Meter hoch, immer wieder erzittert das ganze Schiff, wenn es, von einer Welle hochgehoben, mit lautem Krachen in die nächste Welle schlägt. Aber nach 50 Stunden haben wir den Golf geschafft und liegen sicher vor Anker in Huatulco, einen Erholungstag gönnen wir uns, dann haben wir wieder zwei Nachtfahrten nach Acapulco vor uns.