Der Wechsel vom diesmal im Schnee versunkenen Österreich auf die andere Seite der Erdkugel, in unser schwimmendes Zuhause, vollzieht sich immer sehr schnell. Wie eine Zeitreise in einen anderen Raum mit anderen Gesetzen, doch mir nicht mehr fremd – mit all ihren Farben, Geräuschen, Gerüchen, Menschen und deren Lebensgewohnheiten ist mir diese Welt inzwischen vertraut geworden. Alles ist anders hier, und ich liebe es genauso wie zu Hause.

Ich möchte keine der zwei Welten missen, und in gewisser Weise ist es, als lebte ich in beiden zugleich. Parallelwelten, die in mir ihr verwoben und beide mein geworden sind. Während der Kontakt im Außen über die Entfernung hinweg durch die Technik ermöglicht wird, halten meine Gedanken und mein Herz die innerbindung aufrecht.
Immer wieder stelle ich mir vor, wie das früher wohl gewesen sein mag, als die Menschen in die ferne Fremde, ins völlig Ungewisse aufgebrochen waren. Wenn wir heute mit unserem Segelschiff auf Land treffen und anlanden, wie es in der Seglersprache so schön heißt, weisen uns hochmoderne Instrumente den richtigen Weg, sie wissen, wo es Untiefen gibt, wo und wann gefährliche Strömungen vorherrschen, wo es windgeschützte Ankerplätze gibt und wie weit wir uns dem Land nähern können, ohne Gefahr zu laufen, aufzusitzen. Noch dazu nutzen wir die Wettervorhersage, um Sturm oder ungünstige Wetterlagen möglichst zu meiden oder ihnen zumindest auszuweichen. Früher hatte man all das nicht zur Verfügung, man musste sich aufs Auge und das Gefühl, natürlich auch einige mechanische Werkzeuge wie das Handlot zur Messung der Wassertiefe verlassen – viele Schiffe kamen niemals an; viele andere mussten, schon das Ziel vor Augen, ohnmächtig mitangesehen haben, wie ihre Galeonen samt Besatzung im Sturm an den Klippen zerschellt sind. Doch wie die Geschichte uns lehrt, haben es gar nicht so wenige auch geschafft – raue, harte Männer, die dem Leben, dem Wind und dem Wetter die Stirn geboten haben (Herbert fühlst sich sofort angesprochen!)– es muss ihnen wie ein Wunder erschienen sein. Angeführt wurden sie von einem, der seiner Vision folgte…

Ja, wir haben etwas Großes vor. In den Tagen der Vorbereitung auf den bevorstehenden Transit durch den Panamakanal vom Atlantik in den Pazifik ist viel zu tun.
Dennoch bleibe ich in ständiger Verbindung mit dem nur fünf Minuten entfernten Regenwald und nutze jede arbeitsfreie Minute für einen Abstecher in den Regenwald, um die Affen zu besuchen, Faultiere und Vögel zu beobachten – inzwischen weiß ich, wo sie zu finden sind. Wie zum Beispiel mein Lieblings-Faultier Slotty, der seit Jahren in einem Blätterbaum mitten in der Marina lebt und sich, um zu fressen, nur ein bisschen strecken muss.
Der Regenwald ist ein besonderer Ort. Feucht und heiß, und trotzdem bietet der Schatten Erfrischung. Uralte Bäume mit dicken verknorpelten Stämmen und spitzen Dornenrinden, an denen dicke Lianen herabhängen, sich Philodendren emporwinden und Orchideen angesiedelt haben, unter deren Wurzeln und Rinden sich Riesenkäfer und bunte Krabben verstecken, scheinen Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten zu erzählen.

Man spürt und hört es, überall rundum ist Leben, das vom Geräusch der menschlichen Schritte für Augenblicke erstarrt. Man muss geduldig sein im Regenwald, warten, bis sich die Tiere, von Neugier getrieben, von sich aus nähern, auf das Geräusch von schwingenden Ästen und knackenden Zweigen hören, dann weiß man, die Affen sind da.

Man lernt, ihre Laute von der Sprache der Vögel zu unterscheiden, die meist unsichtbaren Vögel zu sichten,

und wenn man Glück hat, läuft ein Ameisenbär mit seiner Familie quer über die Straße oder ein Nasenbär raschelt im Unterholz. Aber meistens sind die Waldbewohner scheu, genauso wie die vielen Giftschlangen und Giftfrösche, denen man am besten gar nicht erst begegnet. Angeblich haben Arbeiter in der Nacht hier in der Nähe sogar einen schwarzen Panther gesichtet. Tatsächlich beheimaten die mittelamerikanischen Tropen Wildkatzen wie Jaguare, doch meist sind sie tiefer im dichten Gehölz auf der Jagd. Da, Fruchtschalen fallen vom Baum – und das suchende Auge findet schon bald das dafür verantwortliche Eichhörnchen, das flugs mit seiner Beute davonläuft.
Beim Herumstreunen zwischen den amerikanischen Militärgebäuden, die ehemals zum Schutz des Kanals errichtet wurden und nach dem Abzug der Amerikaner und der Übernahme der Kanalverwaltung durch die Panamesen aufgelassen und dem zunehmenden Verfall preisgegeben wurden, mache ich einen Fund! Hinter der einstigen Kirche lagen doch tatsächlich dicke Mahagonibretter, die beim „Aufräumen“ einfach auf einen Schutthaufen hinter die Mauern geworfen wurden –

wunderschönes, rotbraunes, weihrauchgetränktes, tausendmal bebetetes Edelholz. Das könnte Herbert doch brauchen (Robert wäre stolz auf mich!)

– und tatsächlich bekomme ich unter anderem ein wunderschönes Mahagonikisterl für mein Gemüse – es muss jetzt schon an ausreichend Lagermöglichkeiten für das Proviantieren unserer 5-6-wöchigen Fahrt über den Pazifik gedacht werden.
Gemeinsam nutzen wir ein paar arbeitsfreie Stunden für eine Fahrradtour zum Fort Lorenzo, die direkt durch den Urwald führt. In einer kleinen Lichtung neben der Straße sehe ich immer wieder Agutis, niedliche pflanzenfressende Nagetiere – ein leckes Wasserrohr lockt sie wohl an – ja sie sind auch heute wieder da! Etwas tiefer im Wald veranstalten die Brüllaffen ein Konzert für uns, das sich hören lassen kann, man wähnt sich mitten in einem Horrorfilm! Für den Lärm, den sie machen, sind sie verhältnismäßig klein, bestimmt nicht größer als einen halben Meter. Beim Fort angekommen, erwartet uns ein weiteres Konzert – die katholische Jugend übt eine Vorführung für hohen Besuch ein, der ganz Panama in höchste Aufregung versetzt – der Papst hat sich angekündigt!

Wir lassen den Blick vom hoch über dem Meer gelegenen, viermal angegriffenen und nach dem letzten Beschuss im 18. Jh. nie mehr aufgebauten Fort Lorenzo über die Klippen und die Ufer des Rio Chagre, der hier ins Meer mündet, schweifen.

Natürlich wird die Flussmündung ausgiebig nach möglichen Krokodilen untersucht – diesmal nichts. Dafür – wieder im Regenwald – geradezu unmöglich – erblicke ich hoch in den Baumkronen eine grüne Mamba, die sich direkt über mir von einem Baum zum nächsten schlängelt – ihr Kopf kommt hervor, sie visiert ihr Ziel an, streckt sich und gleitet sozusagen durch die Luft zum nächsten Ast, an dem sie Halt findet; dann folgt der Körper, der immer dicker wird und gar nicht aufzuhören scheint, bis mit einem leisen Schlag auch die Schwanzspitze verschwindet. Ich bin atemlos – eine grüne Mamba! (Später werde ich von Christian, einem österreichischen Biologen und Photographen von der IMAGINE belehrt, die gäbe es nur in Afrika und es sei nur eine schwach giftige panamaische Papageienschlange gewesen…)

Mit Christian haben wir übrigens auch eine spannende Nachtwanderung durch den Urwald erlebt, unerschrocken bahnte er uns den Weg durch die Dunkelheit. Mit Stirnlampen gerüstet haben wir verlassene Gebäude erkundet, große Raubspinnen und spannende Insekten auf der Unterseite von gelöcherten Blättern entdeckt


und hin und wieder ein Tier aufgeschreckt, doch außer einem Rascheln des davoneilenden Ungeheuers nichts mehr entdecken können. Der Urwald bei Nacht – es war großartig, allein hätte ich mich das nie getraut.
Mein Slotty im Marinabaum ist leider von einem Tag auf den anderen verschwunden und nicht wieder zurückgekehrt – angeblich verlassen sie manchmal ihre adoptierten Bäume und suchen sich ein neues Zuhause.

Sie können aber bei ihrem wöchentlichen Toilettengang, wozu sie den Baum verlassen müssen, auch zur leichten Beute anderer Tiere werden. Ich hoffe, er ist nur umgezogen… Zum Trost habe ich einige andere im Wald entdeckt, sie sind meist schwer zu erspähen!

Leider ist die Natur auch hier nicht unberührt geblieben, obwohl es immer mehr Nationalparks über und unter Wasser gibt. Wenn man so nah an der Natur und mit ihr lebt, ist man auch unmittelbar mit den Auswirkungen der Umweltverschmutzung konfrontiert. Der Umweltschutz und die Abfallentsorgung bedarf hier noch einiges mehr an Bewusstseinsarbeit und Erziehung. Zum Beispiel der Hausmüll, den ich zu Hause peinlich genau trenne, geht ungefiltert und fast überall ungetrennt in den Einheitscontainer – wenn überhaupt. Das, was wir wegwerfen, ist hier genauso nah und unmittelbar wie die Umwelt selbst. Wenn ich das Schiff putze, gehen die Chemikalien direkt ins Meer und werden nicht durch eine Mach-Wieder-Sauber-Kanalisation geleitet, in der Werft wird mit giftigsten Stoffen gearbeitet, und es ist nicht zu vermeiden, dass sie vom Meer und dem angrenzenden Regenwaldboden aufgesogen werden. Ich könnte mich damit trösten, die Auswirkungen des privaten Yachtverkehrs wären im Vergleich zur Handelsschifffahrt vernachlässigbar – aber es ändert nichts daran – hier ist es viel schwerer, darüber hinwegzusehen. Plastikmüll und alles, was nicht mehr gebraucht wird, wird einfach weggeworfen – die Müllcontainerkultur hat sich noch nicht herumgesprochen.

Aber ist durch unsere Mülltrennung und Abfallwirtschaft wirklich so vieles besser geworden? Lässt sich damit unser Großverbrauchertum rechtfertigen? Wird uns damit nicht nur der Blick für die Ausmaße der Verschmutzung verstellt und vorgaukelt, alles würde umweltgerecht entsorgt werden? Unsere ‚sauberen‘ Straßen, die von tausenden Autos befahren werden, unser maßloses Konsumieren, das uns in hygienisch makellosen Geschäften mit gut sortierter Markenware als erstrebenswertes Lebensziel angepriesen wird, attraktiv verpackte Lacke, Lösungsmittel, Öle bis hin zu radioaktiven Stoffen, Giften und Medikamenten, die ‚ordnungsgemäß‘ in Drittländern entsorgt werden, lassen uns nicht sehen, wie sehr jeder einzelne von uns an der Umweltverschmutzung mitverantwortlich ist. Es tut mir fast körperlich weh, wie wir mit unserem Lebensraum, unserer Erde umgehen und kaum globale Lösungen angeboten werden. Wenn wir, die Segler, zur Selbstinitiative greifen und eine Insel von Müll befreien, indem wir den herumliegenden Müll einsammeln, zusammentragen und die unterschiedlichsten Kunststoffverbindungen einfach verbrennen, fragen wir uns, was die bessere Alternative ist – alles liegenzulassen und zuzuschauen, wie die Kleinstpartikel im Magen der Meeresbewohner landen, sie verhungern lassen, unfruchtbar und krank machen, oder zuzuschauen, wie die giftigen Gase in den Himmel entweichen und die Luft verpesten. Eine weitere Gefahr für die Meeresbewohner stellen die vielen verlorengegangenen und im Meer herumschwebenden Fischernetze dar, Säugetiere müssen darin hilflos ersticken und Fische verfangen sich in ihren Maschen, aus denen sie sich nicht mehr befreien können.
In Dalmatien habe ich in manchen Hafenstädten Tafeln aufgestellt gesehen, auf denen genau verzeichnet ist, in welcher Entfernung vom Land man Kompostabfälle entsorgen kann, wie lange ein Papiertuch, ein Zigarettenstummel, Glas oder eine Metalldose brauchen, bis sie sich aufgelöst haben. Tage, Monate, Jahrzehnte – oder, wie etwa Plastik, Jahrhunderte! Aber wer macht sich schon darüber Gedanken! Längst haben wir akzeptiert, dass Bananen eben von Kindern geerntet werden, dass Avocados tausende Kilometer Transportwege bis zu uns zurücklegen, dass Mangos x-Mal mit Chemikalien behandelt werden, bevor sie gerade noch genießbar in unseren Regalen landen (ein karibischer Bürger hat sich einmal so geäußert: Zuerst vergiftet ihr die Bananen und dann esst ihr sie!); auch haben wir uns damit abgefunden, dass fast jedes Kleidungstück, dass wir erwerben, egal ob billig oder teuer, unter menschenunwürdigen Bedingungen, unter gesundheits- bis existenzgefährdenden Umständen hergestellt wurde. Ja, wir nehmen all das einfach hin und sind noch dazu überheblich und vielleicht sogar ein bisschen gegen die Ausländer, die zu uns kommen, und an unserem – wohlverdienten? – Wohlstand etwa mitnaschen wollen!
In der Nacht zum 21. Jänner liegen Herbert und ich zu zweit an Deck und blicken gen Himmel – am klaren Firmament vollzieht sich die totale Mondfinsternis. Der Mond wurde zunehmend orange, schien näher zu kommen und größer zu werden, zum ersten Mal erschien er mir faszinierend dreidimensional als echter Planet. In meinem Kopf erklingt der Song Louis Armstrongs What a wonderful world!
Dann kam der Tag des Aufbruchs, mein Magen fühlte sich an wie vor einer Prüfung, schließlich hatte ein befreundetes Boot zwei Tage zuvor einen Unfall in den Schleusen und wurde an die Schleusenmauer gedrückt – es kann immer ein Fehler passieren, man ist von den Booten, mit denen man vertäut ist, mit abhängig. Segelboote werden meist zu zweit oder zu dritt durch die Schleusen geführt. Am ersten Tag geht es durch drei Schleusen hinauf bis zum riesigen Gatun-See, wo wir unter einem sternenübersäten Himmelszelt die Nacht verbringen. Der Abend wird jazzig – John von der GEORGIA B., der uns als Linehandler hilft, ist in diesem Metier zu Hause. Herbert sucht in seiner riesigen Musikdatei fieberhaft nach Namen, die John nennt und wir noch nie gehört haben, und es gibt großes Gelächter, wenn Herbert einen zufälligen Treffer landet, den er in seiner gewohnt humorvollen Art als seinen Lieblingssong verkauft! Es war ein Genuss, diesem Spaß zuzuhören!
Am nächsten Tag werden wir durch die Miraflores-Schleusen wieder abwärts befördert, bis auf das Niveau des Pazifiks. Langsam schließt sich das riesige eiserne Tor zum letzten Mal hinter uns und das Wasser beginnt abzufließen, die Leinen müssen unter genauer Anweisung mit Gefühl und manchmal ganz schön viel Kraft nachgegeben werden und dürfen sich ja nicht verknoten – das könnte gefährlich werden – bis wir tief in der dunklen Schleuse liegen, mit zwei Segelschiffen an unserer Seite und einem riesigen Frachtschiff hinter uns, das links und rechts nur noch ein paar Zentimeter Platz hat. Glocken ertönen, und die Tore beginnen sich wieder zu öffnen, um unser Schiff in den Pazifik zu entlassen. Etwas wie ein erhabenes Gefühl durchflutet mich und riesige Freude breitet sich in mir aus! Wir haben es geschafft, alles ist gut gegangen und eine neue Welt liegt vor uns!