Dominica – Wanderung zum Boiling Lake

Dominica gilt als Naturparadies, und das völlig zu Recht. Einige aktive Vulkane treiben hier ihr Unwesen, 365 Flüsse gibt es, Wasserfälle und heiße Quellen sind in schon fast inflationärem Ausmaß vorhanden.  Dazwischen gibt es zwei größere Städte, ein paar indianische Ureinwohner, die in einer Art Reservat leben und unvorsichtige Touristen gefangen nehmen und erst dann wieder freilassen, wenn diese ausreichend Bastkörbe erworben haben, dann noch einige winzige Dörfer, und jede Menge Regenwald.

Dominica ist als Wander-Insel bekannt, und die wohl bekannteste Wanderung führt zum Boiling Lake, einem See, der sich einen aktiven Vulkankrater als Heimat ausgesucht hat und dafür als Revanche von diesem ordentlich aufgekocht wird.  Die Wanderung gilt als anstrengend und gefährlich, ohne Guide solle man diese auf keinen Fall unternehmen (very very dangerous). Jetzt haben wir ja seit St. Vincent eine Guide-Allergie und wollen die Wanderung jedenfalls alleine machen, es werden mir aber im Rahmen der Sonntag-Abend-Beach-Party von den Boat-Boys ausreichend viele Rumpunch eingeflößt und dann  bekomme ich ein Spezialangebot das wir nicht ablehnen können (wer will schon sein Lebensende in einem kochenden Geysir im „Valley of Desolation“ verbringen, und genau das ist leider das einzige vorstellbare Ergebnis, wenn wir uns alleine ohne den Schutz durch einen bestens ausgebildeten Guide auf den todbringenen Pfad begeben). Außer Tadeja und mir ist auch noch ein deutsch-chinesisches Seglerpärchen mit von der Partie, unser Rastafari Michael als Fahrer und Francis, unser Rasta-Guide. Schon die Fahrt mit dem Kleinbus durch die abenteuerliche Landschaft ist ein Erlebnis und wiegt das um 06:00 Aufstehen auf, durch wilde Schluchten und über Gebirgskämme nähern wir uns unserem Einstiegspunkt in den Nationalpark. Schwefeldämpfe hüllen uns ein, und Schuld ist nicht das gestrige Abendessen, sondern die vulkanische Aktivität, die hier überall spürbar ist; natürliche Schwefelbäder gibt es an allen Ecken und Enden und so mancher Bach, der zu Tale schießt, ist von so hitzigem Gemüt, dass man sich an ihm die Finger verbrennen kann.

Guide Francis, ein liebenswerter und durchtrainierter Local, informiert uns über die übliche Gehzeit sechs Stunden und dass wir nach der Wanderung noch Zeit für ein erfrischendes Bad hätten.  Also stapfen wir frohgemut los, machen ein paar tüchtige Schritte um dann von Francis gleich wieder eingebremst zu werden – die Gruppe muss zusammenbleiben. Unsere chinesische Freundin, wandertauglich ausgestattet mit einem Rücksäckchen aus der Kosmetikabteilung und einem ordentlichen Sortiment an Kameras ist flottes Wandern nicht so gewöhnt, ihr Herz schlägt eher für das Beobachten der Natur und für das Einfangen sämtlicher Eindrücke auf die Speicherchips Ihrer Kameras. Und so geht unser Trüppchen sehr beständig und ebenso langsam durch den beindruckend schönen Regenwald auf das Ende der ersten Sonderprüfung, den ersten Gipfel, zu.  Der gefährliche Wanderweg entpuppt sich als gut angelegter und schön befestigter Trail, über den man trockenen Fußes ohne im Schlamm zu versinken ausgezeichnet vorankommt. Wir entdecken die Langsamkeit und schrauben uns im Schneckentempo nach oben, die neue Prognose von Francis auf Basis der bisherigen Geschwindigkeit ist zwischenzeitlich eine Wanderzeit von zehn Stunden. Tadeja kann sich wie üblich mit der Situation gelassen abfinden, nur ich hüpfe innerlich wie ein Rumpelstilzchen auf und ab und ich fürchte, dass ich – wie ein Pferd, dem man zu viel Hafer gegeben hat – einfach davonstürmen werde, ohne etwas dagegen tun zu können. Aber die Beharrlichkeit setzt sich durch, und der Weg wird anspruchsvoller, so dass man beide Hände zum Klettern braucht und dabei keine Fotopausen mehr machen kann, und wir steigen einige Stunden später hinab ins „Valley of Desolation“. Dieses Tal ist in Wirklichkeit kein Tal sondern der Krater eines Vulkans, der noch lange nicht vorhat in Pension zu gehen. Überall zischt und raucht es, Baby-Geysire zeigen ihr Können und sprudeln lustig vor sich hin, der heiße Bach ist einmal schwarz gefärbt, dann wieder blau, dicke Schwefelablagerungen sind überall zu sehen, und dort wo es vor kurzem noch ganz fest und stabil ausgesehen hat, ist plötzlich ein blubbernder Kochtopf.  Einen fixen Pfad gibt es hier nicht, und wir verstehen, was man uns mit „very dangerous“ sagen wollte – hier muss man wirklich etwas aufpassen und wissen, wohin man seinen Fuß setzt, damit man diesen nicht am Abend mit Sauerkraut verspeisen kann.  Francis bemalt unsere Gesichter nach dem alten Boiling-Lake-Guide-Ritual mit weißem Lehm, und wie eine Horde Indianer auf Kriegspfad schleichen wir auf verschlungenen Pfaden durch diese bizarre Landschaft, immer auf der Hut vor drohender Gefahr aus der Tiefe.

Streckenweise müssen wir ein wenig klettern, aber die schwierigen Passagen sind gut gesichert, und mit Francis Hilfe bezwingt unsere Alpinistentruppe jedes Hindernis. Bäche werden durchquert, und an Wurzeln hangeln wir uns kleine Abhänge hinauf und hinunter, einen kurzen steilen Aufstieg durch die bizarre Landschaft zum Boiling Lake schaffen wir auch noch, und dann stehen wir staunend vor diesem Wunder der Natur. Vom Kraterrand schauen wir in die Tiefe, und unter uns schaut es aus, als ob einer der Giganten aus der griechischen Mythologie Nudel kochen würde, es sprudelt und wallt, dampft und stinkt. Wir halten einen Sicherheitsabstand zum Kraterrand, weil wir keinesfalls die Suppeneinlage darstellen wollen, und bleiben schön hinter dem Warnschild, das von großer Gefahr kündet.

In einem Moment sind wir mit dem ganzen Berg eingehüllt in dichten Nebel, im nächsten sehen wir schon wieder klar hinunter bis zum karibischen Meer.  Jetzt bräuchten nur noch ein paar Saurier auftauchen und die Idylle wäre perfekt (vorzugsweise Pflanzfresser, weil von einem Tyrannosaurus Rex rund um den See gejagt zu werden das stelle ich mir noch weniger lustig vor als in einem der kleinen Geysire zu duschen).

Nach einer ausgiebigen Jause geht es wieder zurück ins „Tal der Zerstörung“, wo uns Francis einen kleinen lauschigen Warmwasser-Whirlpool mit privatem Wasserfall unter grünem Dschungeldach zeigt. Wir suhlen uns im frischen Schwefelwasser und fühlen uns wie im Paradies, aber so wie Adam und Eva müssen auch wir selbiges wieder verlassen, wir sind schon spät dran und tun gut daran uns zu beeilen, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück zu kommen. Kurz nach unserem erfrischenden Bad machen wir Bekanntschaft mit ein paar Regentropfen, zuerst nur mit der Vorhut, die auskundschaftet, ob es sich lohnt, richtig loszulegen und wann der optimale Zeitpunkt dafür wäre.  Der ist natürlich genau dann, als wir ohne Blätterdach die Steilwand hochklettern, und darum fangt es in diesem Moment wie wild zu schütten an. Es gießt wie aus Kübeln, ich habe manchmal das Gefühl, dass direkt über mir jemand mit dem Gartenschlauch steht, bald sind wir bis auf die Unterhose klatschnass, meine Wanderjacke hält zwar angeblich eine enorme Wassersäule aus, aber als Unterwasser-Anzug ist sie dennoch unbrauchbar. Der schöne trockene Pfad durch den Regenwald verwandelt sich in ein Überschwemmungsgebiet, wir wandern alsbald in einem fröhlich plätschernden Bach nach unten, es wird kalt und auf unerklärliche Art beginnt sich der Weg zu dehnen, er wird immer länger und länger und will partout nicht mehr aufhören. Knapp vor Einbruch der Dunkelheit sind wir nach unserer acht Stunden dauernden Wanderung wieder bei unserem Auto, wickeln uns in ein Handtuch und lassen uns vor Kälte bibbernd zurück zu unserem Heimathafen Portsmouth bringen. Dort gibt es dann zum Aufwärmen am Schiff einen Rum und noch im Stehen schlafen wir im Salon ein, mit dem schönen Gefühl, etwas geleistet und eine unvergessliche Wanderung von betörender Schönheit gemacht zu haben.

Eine Antwort auf „Dominica – Wanderung zum Boiling Lake“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.