work sail balance

Ständig kommt mir der Begriff „Work Life Balance“ unter. Muss eine unglaublich wichtige Sache sein, googled man das kommt man auf ca. 1.440.000.000 Ergebnisse. Für mich ist schon der Begriff ein ausgemachter Unsinn. Als ob es eine Trennung zwischen Leben und Arbeit gäbe. Lebt man bei der Arbeit nicht? Immer wieder muss ich erkennen, dass es bei manchen eine strikte Trennung zwischen Arbeit und Verstand gibt, aber lebendig waren dabei bisher noch alle. „Work Brain Balance“ wäre also ein viel besseres Thema, oder die „Work Sleep Balance“, die macht auch mehr Sinn, da gibt es sogar ganz besondere Synergien, der überaus gesunde Büroschlaf ist hier zu nennen, oder auch der ehrenwerte Beruf des Matratzentesters, den unser mittlerer Sohn im Kindesalter auf neugierige Fragen von Bekannten „was willst Du denn einmal werden?“ als sein Ziel angegeben hat. Oder eben auch Work-Sail-Balance. Dieser Ausgleich beschäftigt uns derzeit intensiv, sind wir doch dem Lockdown, der Kälte, den geschlossenen Restaurants, den ununterbrochenen Virusbotschaften und den langen dunklen Winternächten Richtung Mexiko entflohen, ohne einen Urlaub fern von allen beruflichen Verpflichtungen anzutreten.

Corona hat auch seine Vorteile, für uns ist es die kompromisslose Umstellung unserer Arbeitsumgebung auf Remote-Work, die unsere KALI MERA ins Homeoffice verwandelt. Wir haben sogar den Luxus eines eigenen Arbeitsraums (kombinierte Gästekabine, Fernsehzimmer und Arbeitszimmer), und das gibt mit der Salon-Küche-Navigations-Esszimmer-Arbeitskombination komfortablen Platz für zwei im Homeoffice. Internet gibt es aus der Handy Wertkarte, 8GB kosten 25 Euro, 5GB benötige ich pro Tag, die Datenübertragung ist ausgezeichnet, webex und Zoom funktionieren besser als bei manchen Kollegen im Büro im guten alten Europa. Wir haben hier anscheinend Heimvorteil im Land des Herrn Slim, Telcel sticht Telekom.

Gewöhnungsbedürftig ist der Zeitunterschied, 7 Stunden früher ist es hier, das Daily Meeting, der Startschuss zum Bürotag, das in Wien erst zur Developer-freundlich-späten Stunde von 09:30 beginnt, wirft mich hier schon um 02:00 früh aus den Federn, um spätestens um 02:15 zur Arbeit adjustiert und auf den Tag vorbereitet zu sein. Muss ein Termin schon vor 09:00 stattfinden, dann heißt es kurz nach Mitternacht aus der Koje zu kriechen. Dafür ist das Tagwerk schon spätestens zu Mittag erledigt und der Nachmittag steht zur freien Verfügung. Gibt es zwischen den Video-Konferenzen eine kurze Pause dann nutze ich die Zeit manchmal zum Brot backen

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, dann gibt es zum Frühstück warmes Brot direkt aus dem Backofen. Der Nachteil der Schichtarbeit ist chronischer Schlafmangel, mein einziges Rezept dagegen: früh Schlafen gehen und einen „nap“ am Nachmittag.

Tadeja teilt sich Ihre Arbeit besser ein und kann ihre Termine ganz gut auf unseren Vormittag legen, sogar Ihre gewohnte Yoga Stunde über Zoom geht sich dabei aus.

Noch vor einem Jahr war es völlig unvorstellbar, dass für uns beide ein Fullltime Job am Boot ohne Einschränkungen von Arbeitsqualität oder Leistung möglich wäre. Während sich die Welt nur einmal um die Sonne drehte ist ein neues Segler-Arbeitsleben möglich geworden. Wo es (Corona) Schatten gibt, da gibt es – Gottseidank – auch Licht!

Und so genießen wir dieses besondere Geschenk, ohne jeden Urlaubsverbrauch hier auf der KALI MERA zu sitzen, uns auf Ihr mit dem langsamen Walzer, den Sie vor Anker täglich mit den Gezeiten tanzt, mitzudrehen, Sonne und Salz auf der Haut und den Wind in den Haaren (Tadeja mehr und ich weniger) zu spüren und den Arbeitstag mit langen Strandspaziergängen auf dem goldenen Korallensand zu beschließen. Dafür nehmen wir gerne die Nachtarbeit und das weniger gut ausgestattete Büro in Kauf.

Arbeiten und Segeln als Teil unseres Lebens kombinierbar, was für ein Genuss!

Blutendes Meer

Das Meer ist rot! Es sieht unheimlich und gar nicht einladend aus. Unter unser Schiff schieben sich dunkelrot gefärbte Wasserstreifen, als würde das Meer von tief unten bluten. Das Rot breitet sich innerhalb kürzester Zeit in alle Richtungen aus, und unvermittelt steht die ganze Bucht in rotem Wasser, blutrote Wellen streichen in langen Zungen über den Strand, die Gischt ist nicht mehr weiß, sondern rotbraun, auch unser Dingy zieht eine schmutzig rötliche Schaumspur hinter sich nach. Beugt man sich über die Reling, sieht man dichte Wolken faseriger Schwebstoffe, die das Wasser trüb und undurchsichtig machen, während grelle rote und orange Schlieren bewegte Muster auf die Oberfläche zeichnen, ähnlich wie bei uns daheim zur Zeit des Pollenflugs, wenn alles, auch der See, mit einem feinen gelben Puder überzogen ist.

Schuld daran ist die Algenblüte. So schön es klingen mag, aber die Luft ist nicht von süßem Blumenduft erfüllt – nein, es stinkt! Und sie birgt eine tödliche Gefahr. Winzige Augentierchen, Dinoflagellaten, finden im Zusammenspiel mit den veränderten Wetterbedingungen, Wassertemperaturen und den Tonnen an Düngemittel, die durch die Böden ins Meer gelangen, optimale Bedingungen vor. Dauert die rote Flut lange und setzt sie Toxine frei, die die Nerven und Schleimhäute angreifen, bedeutet es für viele Meeresbewohner den Tod. Letztes Jahr fand man 136 tote Robben an den Stränden der Baja California, an der mexikanischen Pazifikküste verendeten über dreihundert Schildkröten, die zu den bedrohten Tierarten gehören, Fische werden vergiftet, in der Folge sterben auch die Vögel, die sich von ihnen ernähren und der Fischfang kommt zum Erliegen, womit wiederum die Lebensgrundlage vieler Menschen zunichte gemacht wird. Das Phänomen wird weltweit beobachtet, von der Arktis bis nach Australien, vom persischen Golf bis zum Atlantik.

Im Vergleich dazu haben wir mit kleineren Problemen zu kämpfen. Schwimmen entfällt. Und das Trinkwasser geht uns aus. Wir sollten unseren Wassermacher wieder in Betrieb nehmen, doch das wollen wir den Filtern und Membranen, die an sich sogar Viren und Bakterien herausfiltern, nicht zumuten.

Das rote blutende Meer drückt auf die Psyche, jeden Tag ein paar tote Fische am Strand, eine riesige Schildkröte, die am Rücken liegend leblos in den Wellen schaukelt, und kein Ende vorherzusagen. Es kann Wochen oder Monate dauern.

Eigentlich wollten wir nicht weiter in den Süden, wir scheuen die Rückfahrt, da meist mit Gegenwind und Welle von vorne zu rechnen ist. Doch der Entschluss ist schon gefallen – solche Planänderungen sind inzwischen Teil unseres Lebens geworden!  

Zwei Zwischenstopps und ein paar Tage später wissen wir, es hat sich ausgezahlt. Türkisblaues Wasser, eine traumhafte Bucht vor der Isla Grande, wir können wieder Wasser machen, schwimmen, über den Korallenfeldern mit bunten Fischen und weiß gepunkteten Adlerrochen um die Riffs schnorcheln, die Insel erkunden, den Kontrast der schroffen Felsen und Riesenkakteen im Sonnenuntergang wirken lassen. Wenn es dunkel geworden ist, liege ich auf dem Rücken und blicke ins Sternenmeer über uns – unendliche Weite und ein tiefes Gefühl der Verbundenheit.

Soziale Kontakte pflegen wir nur vereinzelt und selten. Lediglich um Besorgungen zu erledigen, mischen wir uns mit Vorsicht und gut geschützt unter die Leute. Mit dem Taxiboot fahren wir an Land in den kleinen Touristenort Ixtapa, wo wir es für ein Taxi auf vier Rädern eintauschen. So eine Einkaufstour ist immer abenteuerlich! Zum Füllen unserer Gasflasche werden wir zum „Jefe de gas“ gebracht, der irgendwo am Straßenrand einen rostigen Tank bedient, der noch aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen scheint, für den Duschschlauch – unserer ist plötzlich geplatzt – in ein Schrauben-Macheten-Seil-und alles andere Geschäft, das zur Straße hin an eine Schießbude erinnert und weiter hinten unter einem Wellblechdach ein Lager voller Geheimfächer beherbergt, die Herberts Herz schneller schlagen lassen und die er sogar selbst durchstöbern darf,  dann weiter zu den „Fruteras“, kleinere und größere offene Straßenläden, deren Marktstände mit duftenden Obst und Gemüse in leuchtenden Farben beladen sind, und für den Rest zu den Supermärkten, deren Eingänge vorbildlich mit automatischer Fiebermessanlage, einer alkoholgetränkten Fußmatte, einem mit dem Fuß zu bedienenden Desinfektionsmittelbehälter und einer Kontrollperson bewacht werden. Nun steht der Kreativität beim Kochen, Brownies eingeschlossen, nichts mehr im Wege!

Zu den schönsten Reiseerlebnissen gehören für mich Begegnungen mit der Tierwelt, meine Augen sind immer wachsam, versuchen im Gestrüpp verborgenes Leben aufzuspüren, in den Lüften den Vogelflug aufzuhalten und im Wasser keine noch so flüchtige Flosse zu übersehen. So kommt es, dass wir voll beladen mit unseren Einkaufstaschen die Straße queren und ich aus dem Augenwinkel den Flügelschlag eines riesigen rosaroten Vogels einfange. Wo ist er hin verschwunden? Mein Blick durchsucht die Baumkronen, bis ich ihn entdecke – beim Füttern seiner winzigen Vogeljungen, die ihm aus dem breiten Löffelschnabel fressen. Es ist eine ganze Kolonie! Ich vergesse alles rund um mich, vergesse die Zeit, vergesse Herbert, der von kichernden Kindern umrundet wird und denen er wegen der Einkaufstaschen, die er bewachen muss, nicht entkommen kann, während ich in der rosaroten Traumwelt des rosa Löfflers verloren gehe…

Irgendwann kommen wir dann doch noch heim. Und schnorcheln auch manchmal. Dass ich dabei meinen ersten Riesenmantarochen begegnet bin , war schon sehr beeindruckend – aber was mir da im Wasser gerade weit entfernt vom Ufer entgegengeschwommen kam, geht als ultimatives Erlebnis in meine Schnorchelkarriere ein – die zwei langen Ohren gehörten zu einem Reh! Zielstrebig nahm es Kurs auf mich zu – ich muss zugeben, ganz geheuer war mir das nicht – und erkannte erst wenige Meter vor mir, dass meine hochgeklappte Maske mit dem aufragenden Schnorchel doch nicht seine Gefährtin war!

Nach zwei Wochen wird es Zeit für uns, an das Zurückkehren zu denken. Wir wollen nicht unter Druck geraten und nutzen das erste günstige Wetterfenster.

Am Rückweg zeigt sich das Meer in seinem schönsten Gewand, es hat die rote Algenflut besiegt und ist so klar und glatt, dass es zwischen uns und den Delphinen kein Wasser, sondern nur eine spiegelnde Glaswand zu geben scheint. Zahlreiche Schildkröten schwimmen zu beiden Seiten an uns vorbei, strecken neugierig ihr Köpfchen aus dem Wasser und kaum haben sie uns erblickt, tauchen sie mit einem Fußflossengruß auch schon unter.

Es ist schön zu wissen, das Meer lebt!