Die mexikanische Pazifik-Küste ist eher ein Revier für Big-Game-Fischer, Power-Boat-Machos, Shrimps-Trawler und pensionierte Boots-Camper, aber nicht für Segler. Der Nordwest Wind weht praktisch ausschließlich parallel zur Küste, damit gibt es nur Vorwind oder direkt-auf-die Nase-Kurse, eine Strömung von 1-2 Knoten hat man immer gegen sich, ganz egal in welche Richtung man will, das ist wohl ein von Murhpy erfundenes Naturgesetz (wie der Gegenwind beim Radfahren). Windstärke üblicherweise 6 – 15 Knoten, die 6 Knoten natürlich dann, wenn man nach Süden unterwegs ist, die 15 Knoten von vorne, wenn man wieder zurück will. In drei Worten: nix zum Segeln! Daher verwenden die Mexiko-Segler keine Segel sondern den Motor, oder es wird gleich über Wochen oder Monate in einer Bucht geankert um jede Schiffs-Bewegung zu vermeiden.
Wir dagegen wollen segeln, müde des „motorens“ haben wir in Punta Mita auf eine durchziehende Front gewartet, die uns dann mit Starkwind bis zu 30 Knoten und einer ekelhaft steilen kurzen Welle die 130 Meilen nach Tenacatita unter Segel heruntergeschüttelt hat. Knapp sieben Knoten Fahrt durchs Wasser und dennoch nicht einmal fünf Knoten über Grund, natürlich Strömung gegen Wind und uns. Aber immerhin – ohne Diesel. Und belohnt werden wir dann wieder durch die Schönheit der Bucht Tenacatita, den friedlichen und ruhigen Ankerplatz, die Buckelwale, die uns am Eingang der Bucht erwarten, die Delphinfamilie, die jeden Vormittag um die ankernden Boote spielt, die Rochen mit ihren Luftsprüngen, den traumhaften Sandstrand, und endlich die Möglichkeit wieder die Seele baumeln zu lassen und unsere inneren Batterien, denen das Jahr 2020 wie so vielen auch ordentlich zugesetzt hatte, wieder einmal richtig aufzuladen.
Wir sind hier das einzige europäische Boot, alles ist fest in nordamerikanischer Hand. Die kanadischen „Snowbirds“, so werden die Pensionisten genannt, die aus dem Winter nach Mexiko in die Sonne fliegen und Rentner aus den USA verbringen hier die „kalte Jahreszeit“, der Altersdurchschnitt der Crews muss auf die 70 zugehen, eine ganz eigene Community hat sich hier entwickelt. In den wenigen geschützten Ankerplätzen sind nautische Schrebergärten entstanden, in der Früh wird mit der täglichen Funkrunde der Tag gestartet, Neuankömmlinge werden begrüßt, der Wetterbericht ausgetauscht, seine „Treasures of the Bilge“ versucht man zu verramschen, und dann werden gemeinsame Ausflüge mit dem Dinghi zum Strand organisiert, um bei Risikosportarten wie Boccia nervenzerfetzende Tourniere abzuhalten. Dinghis flitzen zwischen den Booten hin und her, American-Coffe-Kränzchen finden statt, und in diesem Schrebergarten Tenacatita, mitten drinnen in dem Abenteuerspielplatz der Snowbirds, da schwimmt auch die KALI MERA gut gelaunt und dreht sich zwei mal am Tag mit den Gezeiten langsam um ihren Anker, und wir auf ihr (und nicht am Strand beim „boccie ball“, weil unser tägliches familiäres „Schnapsen-Tournier“ ist uns schon genügend Aufregung und Social Activity).
Die Zeit vergeht schnell, ich habe ausreichend Material für „Boots-Projekte“ mitgenommen und so wird nun gesägt und gebohrt, verkabelt, geschraubt, installiert und konfiguriert, und auch ein wenig repariert. Neue Instrumente, raffinierte indirekte Beleuchtung im Salon, Umbau der Installation des Wassermachers, neue schwarz glänzende Acrylplatten hinter den Navigationsgeräten, viele kleine Verbesserungen und „Verschönerungen“. Unsere nun schon 26 Jahre alte Dame hat die 11 Monate Stehzeit gut überstanden, es hat auf Anhieb fast alles funktioniert, nur die Frischwasser-Pumpe und ein Motorlüfter haben den Geist aufgegeben, Ersatzteile waren aber Gottseidank an Board, jetzt läuft wieder alles, – oder fast alles: Das AIS hat sich in der langen Stehzeit so ans alleine sein gewöhnt, – es sendet zwar, sobald man es aber ins Netzwerk hängt sind alle Raymarine Geräte nicht mehr erreichbar. Vielleicht übt es „Social Distancing“? Soll es halt alleine bleiben, wir haben eine Ersatzlösung über das Funkgerät. Mir macht das „Herumwerkeln“ am Boot ungeheure Freude, schon das Organisieren der ganzen Teile daheim, das Planen und dann auch die Einbauten, die handwerkliche Arbeit, die Erfolgserlebnisse wenn etwas funktioniert und besser oder schöner wurde, ein wunderbarer Ausgleich zur ständigen Bildschirmarbeit daheim. Apropos Arbeit: Auch unser Job hat uns nun wieder, die nächsten vier Wochen sind wir webex-, zoom- und whatsapp-sei-Dank beide wieder halbtags im Dienst, die Zeitdifferenz ist da eine gewisse Herausforderung, aber an Nachtwachen sind wir ja gewöhnt, und unsere Arbeit mögen wir!
Die restliche Zeit verbringen wir mit Spazieren gehen, Kochen, und vor allem Lesen. Ich trau es mich fast nicht sagen, aber ich habe mich nach nunmehr 40 Jahren Abstinenz wieder auf die dicken Perry Rhodan Sammelbände gestürzt (in einem Anfall von „Gehirnfasten“) und in den letzten Tagen die ersten sechs davon gelesen (ca 20 habe ich noch vor mir…). Großartig, am meisten Freude machen mir die Stellen, in denen die nur Armbanduhr-großen Mikro-Funkgeräte verwendet werden (Wunderdinge der extraterranischen Mikromechaniker), oder wenn das allmächtige Positronen-Gehirn auf der Venus mit Informationen auf Plastikkarten gefüttert wird, oder wenn die Videophon-Konversationen auf Bänder aufgezeichnet werden um dann mit Funk in den Hyperraum übermittelt zu werden, vorher müssen jedoch die Röhren der Verstärker warm laufen…
Im Gegensatz zum letzten Jahr ist das Meer heuer kalt, knapp über 20 Grad hat es nur, und durch eine Algenblüte ist es auch trüb, also kein Schnorcheln oder Tauchen, leider. An manchen Tagen haben wir sogar eine sogenannte „Red-Tide“, da nehmen die Algen so überhand, dass sich das Meer blutrot färbt, keine Einladung zum Schwimmen! Dafür ist die Szenerie in der Nacht umso eindrucksvoller, fluoreszierende Delphine leuchten im dunklen Wasser und ziehen eine langen funkelnden Kometenschweif hinter sich her wenn sie in der Nacht um das Boot zischen, leuchtende Spiralen im Wasser, ein unwirklicher Anblick, könnte auch in einer von Perry Rhodans fremden Welt spielen.
In der Hoffnung auf ein Meer ohne Algen machen wir einen Abstecher in die 30 Meilen nördlich gelegene Bucht Chamela
, dort ist das Wasser aber so intensiv rot, als ob Familie „Weißer Hai“ gerade gemeinsam mit den vielen Badegästen einen weihnachtlichen Festschmaus abgehalten hätte, wir ziehen den Parasailer hoch und lassen uns von dem riesigen Leichtwindsegel und der sanften Brise wieder zurück in die Tenacatita schieben. Hier bleiben wir nun, die paar Algen hin oder her, es ist wunderschön.