Unter Wasser

Von St. Kitts bis Saint Martin begleiten uns Denisa und Gerhard, die KALI MERA hat Besuch. Gerhard hat vor einigen Jahren bereits einen Tauchkurs gemacht und will sein Können wieder auffrischen, und damit ihm nicht langweilig dabei wird machen wir alle mit. Einmal „Schnuppertauchen“, und um Tadeja und mich ist es geschehen, wir machen das „Open Water Diver“ Zertifikat. Die Tauchschule ist in der Simpson Bay im niederländischen Teil der Insel, täglich fahren wir also mit dem Dinghi durch die Lagune die unglaubliche Distanz von Frankreich nach Holland und wieder zurück. Mit Demian, unserem niederländischen Tauchlehrer, haben wir Glück, mit genauso viel Humor wie Können bringt er uns Theorie und Praxis bei, wir üben im kühlen Schwimmbecken zwei Stunden lang die einzelnen „Manöver“ bis wir vor Kälte zittern, weitergeübt wird dann an der Küste und im offenen Meer und letztendlich schaffen wir sogar die Prüfung 🙂 . Ein wunderbarer Tauchgang führt uns für 45 Minuten zu einem Wrack auf 20 Meter Tiefe, Haie umkreisen uns, Schildkröten, Langusten, Rochen und große Barrakudas tauchen mit uns und wir gleiten schwerelos mitten durch riesige bunte Fisch-Schwärme, ein lang gehegter Traum ist Wirklichkeit geworden.

 

Ankern

Zwischenzeitlich sind wir in St. Martin angekommen, unserem Absprungpunkt in die BVIs, ab jetzt geht es wieder nach Westen und die Fahrt Richtung Nordpol ist zu Ende. Nevis, Saint Kitts und Stachia haben wir im Kielwasser gelassen, die örtlichen Vulkane bestiegen, ruhige Ankerplätze genossen und von den wirklich rolligen sind wir am nächsten Tag ohne Frühstück geflüchtet (einen ruhigen Ankerplatz, einen ruhigen Ankerplatz, ein Königreich für einen ruhigen Ankerplatz!!!…). Ankern ist das Fundament unserer Bequemlichkeit, erst wenn der Anker richtig sitzt und hält, die Nachbarn in sicherer Entfernung sind und das Meer rund um uns sich einsichtig und friedlich verhält kommen wir wirklich an. Grund genug ein paar Worte übers Ankern zu verlieren…

Ich denke zurück an Deshaies, einen kleinen Ort im Nordwesten von Guadeloupe. In der hübschen und gut geschützten Bucht ist eine ganze Armada verankert, hier kanalisiert sich der ganze Yacht-Verkehr, der von Antigua oder Montserrat nach Süden geht oder von Süden hinauf zu den östlichen Inseln Antigua / Barbuda oder – so wie wir – westlich nach Montserrat weitergehen. Hier wird auf den passenden Wind gewartet, die Umgebung ist malerisch und das Warten daher gar nicht so schlecht.

Aber wenn in einer kleinen Bucht sehr viele Jachten zusammenkommen dann gibt es auch immer ein wenig Aufregung – es wird nämlich auf engem Raum geankert. Das Ankern alleine ist noch nicht so spannend, – die regelmäßige Winddrehung hier in der Bucht mit ganz annehmbaren Böen ist erst das Salz in der Suppe, weil dann ist Tohuwabohu wenn die Anker nicht halten. Ankern ist eigentlich ganz einfach, wenn man ein paar Grundregeln befolgt – nachfolgend skizziere ich den Ablauf (ziemlich vereinfacht, immerhin werden zu diesem Thema ganze Bücher geschrieben, aber ein wenig Theorie schadet manchmal nicht):

  1. Man sucht sich einen Platz mit Sandgrund und einer Wassertiefe von 5 bis 10 Meter auf dem noch kein anderer Anker in unmittelbarer Nähe (so ca. zwei Schiffslängen sollten die Anker doch voneinander entfernt sein) ist. Rundherum muss ausreichend Platz zum Schwojen (so nennt man das, wenn der drehende Wind das Schiff in alle Richtungen um den Anker herumtreibt) sein.
  2. Dann fährt man gegen den Wind zu dem ausgesuchten Flecken hin, bleibt stehen und wirft dann den Anker (lässt ihn mit der Ankerwinch elektrisch ins Meer gleiten, auch wenn die echten Seebären der sommerlichen Adria jetzt entsetzt aufschreien werden – es muss doch nach alter Marine-Tradition die Kettennuss gelockert werden und der Anker ungebremst in die Tiefe rasseln und nicht elektrisch viel zu langsam nach unten zuckeln…).
  3. Bei langsamer Rückwärtsfahrt wird – abhängig von der Wassertiefe – Kette gegeben (ungefähr fünfmal die Wassertiefe, je nach Bedingungen auch etwas weniger oder mehr), sachte fährt man dann den Anker ein, damit er sich schön eingräbt. Wenn die Kette spannt, wird ordentlich Gas rückwärts gegeben und wenn dann weder die Kette ruckelt noch das Schiff fährt dann hat man gewonnen.
  4. Hierauf wird der Anker abgetaucht um zu prüfen, ob er sich auch wirklich eingegraben hat (das heimtückische Ding häuft manchmal auch nur Seegras unter sich auf und tut so als würde es halten, nur um dann bei der zweiten oder dritten Bö, wenn der Skipper schon siegessicher von Board gegangen ist, den Halt zu verlieren)
  5. Ist bisher alles nach Plan gelaufen, dann wird nun noch eine Entlastungsleine von den Bugklampen zur Kette gelegt, als Ruckdämpfer, damit die Gäste in der Bugkabine nicht von der krachenden Kette um den Schlaf gebracht werden und nicht zuletzt zum Schutz der Ankerwinch, die die ständige Belastung gar nicht mag.
  6. Hurra! Manöver geglückt, jetzt wird das vorher rechtzeitig dafür eingekühlte Bier geöffnet

Und so einfach das auch erscheint, bei jedem der Schritte können eine Reihe von Fehlern gemacht werden, wobei Nummer Sechs im Regelfall von allen einwandfrei durchgeführt wird. Folgende Anker-Archetypen können aus langjähriger Beobachtung herausgearbeitet werden, wobei die National-Flagge des ankernden Schiffes die Einteilung in einzelne Gefahrengruppen deutlich erleichtert.

Am wenigsten für Aufregung und Unterhaltung sorgen Schiffe mit Rot-Weiß-Roter oder deutscher Flagge. Hier wird im Regelfall alles genau so gemacht wie dies oben beschrieben wurde, nur dass bei Mitgliedern der Gebirgsmarine der militärische Drill etwas zu wünschen übrig lässt, hier sind uns unsere nord-westlichen Nachbarn etwas voraus, auch durch Hochtechnologie wie Wechselsprechanlagen über Funk zwischen dem Kapitän am Steuer und seiner Crew am Anker, aber die Resultate sind in beiden Fällen normalerweise voll zufriedenstellend.

Interessanter wird es bei Schiffen mit englischer Flagge, hier ist die Streuung relativ breit, vom fein behuteten Gentleman in heller Leinen-Montur auf seiner Megayacht, der wie Admiral Nelson persönlich mit ruhiger Hand alles perfekt macht, bis zum uralten Pärchen auf einem Schiff, das schon die Hochblüte der britischen Kolonialisierung miterlebt hat, die betagten Herrschaften haben dem Schreckgespenst des Altersheims schon vor einem Jahrzehnt durch Flucht auf die Yacht ein Schnippchen geschlagen haben und nehmen es mit den vorgeschriebenen Abläufen nicht mehr so genau. Bekommt man einen Engländer als Nachbar, da heißt es aufpassen die Situation korrekt einschätzen und entscheiden ob man

  • sich beruhigt in die Hängematte legen kann
  • sich für einen Kampf rüsten soll
  • oder am besten Hals über Kopf die Flucht ergreift

Kürzlich noch hatten wir hier falsch reagiert, die Besatzung der schmucken englischen Yacht hat Punkt Eins und Drei missachtet, den Anker zu nahe an unserem geworfen, zu wenig Kette gegeben und hat sich dann an Land in die Strandbar verholt. Wir hätten sofort fliehen müssen! Bei der ersten Winddrehung sind die beiden unbemannten Schiffe dann ungewollt längsseits gegangen und hätte nicht der Franz von der BRIGHT STAR mit seinem Dinghi so beherzt eingegriffen dann wäre wohl auch Schaden entstanden (den Champagner hast Du Dir redlich verdient – Danke Franz!).

Amerikanische Schiffe sind meisten ausgezeichnet ausgerüstet, haben ein imposantes Ankergeschirr und Skipper, die die Manöver mit herausragender Professionalität durchführen. Auch wenn die oben angeführten sechs Punkte nicht eingehalten werden, hat man dennoch den Eindruck, genauso wie man es soeben gesehen hatte sollte es eigentlich ablaufen. Ruhig und bestimmt, mit der Überzeugung, dass ein Amerikaner sowohl Anker als auch Ankerwinch, Kette, Ruder, Motor, Schiff und das ganze Universum erfunden hat, werden die nötigen Handgriffe getätigt. Geht die Yacht dann auf Drift oder verkeilt sich mit dem Ankergeschirr im Heckkorb des bemitleidenswerten Nachbarn, dann ist das für den US Captain überhaupt nicht akzeptabel, nirgendwo steht auf mit Hinweistafeln bestückten Bojen geschrieben „Attention – Danger – Please make sure that you have 35 meters (~115 feet) of chain out and the anchor has digged deep into the sand. Otherwise your boat might slip. This instruction may contain pieces of peanuts“. Es ist unverantwortlich hier nicht korrekt informiert zu werden, eigentlich sollten die anderen Ankerlieger (auf eigene Kosten natürlich) rundherum eine Mauer bauen oder es sollte ein Kollisionsverbot für nicht amerikanische Yachten erlassen werden. Die letzten beiden Yachten, die wir eigenmächtig durch die Bucht herumstreunen sahen, hatten eine (große) amerikanische Flagge (die Yacht SHERIC, die wir in Dominica „gerettet“ haben, ist zwischenzeitlich übrigens verschwunden ohne uns Versicherungsinformationen für den erlittenen Schaden zu übermitteln oder diesen sonstwie zu begleichen…).

Am meisten Freude machen aber die Franzosen. Hier sind in fröhlicher Buntheit alle Varianten von „so mach ich es besser nicht“ vorhanden. Der Klassiker ist folgender – das Schiff steuert völlig zielsicher einen Platz an, den der Skipper vorher wohl mit einem Vergrößerungsglas betrachtet hat – weil von ausreichend Platz zum Schwojen kann man gar nichts erkennen. Dann wird – ohne zu stoppen und noch ordentlich in Fahrt, voller Begeisterung der alte rostige Anker an seiner Leine (Leinen sind billiger als Ketten, und nachdem man Ankerketten nicht isst braucht man dafür auch kein Geld auszugeben. Dass man beim Ankern mit Leinen noch viel genauer darauf achten muss, nichts falsch zu machen, ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung) ins Wasser versenkt. Leinenlänge nach Gefühl – besser nicht zu viel, man weiß ja nie, und dann schnurstracks ins Dinghi um frisches Baguette in der Bäckerei zu bekommen. Das Schiff soll sich in der Zwischenzeit um sich selbst kümmern, soll sich halt einmal erholen und dann zur Ruhe kommen – ein gut erzogenes französisches Schiff zerrt nicht an seiner Leine, das steht wie ein Westernpferd an einem Fleck, bis man ihm wieder erlaubt sich zu bewegen. Kommt der Kapitän dann ein, zwei Stunden später wieder zu seiner besegelten Rosinante (die sich in der Zwischenzeit auf die Suche nach besseren Weideplätzen gemacht hat) dann werden die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, Worte des französischen Erstaunes geflötet und dann wird Wein und Käse ausgepackt um den Schrecken standesgemäß zu verarbeiten. Geht eine Yacht auf Drift, dann ist es normalerweise eine französische (obwohl … die letzten beiden …).

Neben den bisher genannten Nationalitäten sind hier nur noch Kanadier in kategorisierbar großer Zahl zugegen, aber die verhielten sich beim Ankern bisher unauffällig, keine Besonderheiten, die uns den Blutdruck höher schnellen lassen, wenn in der Nähe das vertrauten Rasseln einer Ankerkette erklingt und sich darüber ein rotes Ahornblatt wölbt.

Wenn es besonders eng wird, dann hängen wir eine Ankerboje an unseren Anker, einen kleinen roten Ball, der jedem anzeigt, wo sich unser Anker befindet. Das erleichtert es den Haltsuchenden natürlich enorm, den richtigen Platz zu wählen und erhöht damit unseren Komfort und unsere Sicherheit. Aber auch das kann nach hinten losgehen, drei von unseren Freunden (einem Österreicher und zwei Deutschen, andere Nationen verwenden keine Ankerbojen) ist es bereits passiert, dass eine andere Yacht einfach an der Ankerboje festgemacht hat, im guten Glauben es handle sich dabei um eine Muring-Tonne zum Befestigen des Schiffes. Wie man auf die Idee kommen kann, sich mit einem 15 Tonnen Schiff an einen Spielball mit einer 3 mm starke Nylon-Leine zu hängen und dabei noch glaubt, man sei sicher befestigt, das entzieht sich meinem Verständnis. Allerdings – wenn ich über die Wahlergebnisse diverser Präsidentenwahlen nachdenke, dann wundere ich mich über die Ankerbojenfestmacher auch nicht mehr so…

Wenn ich nun mein „Einkasteln“ und „Lästern“ beende will ich auch noch sagen, dass der überwiegende Teil der Fahrtensegler rücksichtsvoll ist, das seemännische Handwerk ordentlich beherrscht und es angenehme Anker-Nachbarn sind, hilfsbereit und liebenswert. Die paar Ausnahmen sind auch zu etwas gut, sie geben Stoff für mein Geschreibsel, sorgen für Abwechslung und sind die notwendigen Hauptdarsteller im Hafenkino. Außerdem denke ich manchmal zurück an das grässliche Quietschen durch das ich in Griechenland frühmorgens aufgewacht bin, als der Heckkorb unseres Schiffs am Bugkorb eines gemütlichen Bayern gescheuert hat, wir hatten in den Nacht unseren Anker zu nahe bei seinem geworfen…

Abschließend kann ich noch den natürlichen gemeinsamen Feind aller segelnden Ankerlieger sämtlicher Nationen beschreiben – nein, nicht den Wind oder den Seegang, die Motorbootfahrer sind es, die Testosteron-strotzenden Gasgeber auf ihren schreienden und heulenden Ungetümen, die im ruhigsten Ankerplatz schon Vollgas geben müssen, damit auch ausreichend Publikum zum Bewundern vorhanden ist, die riesige krachende Wellen aufwerfen und die friedliche Ankerlieger schrecklich zum Rollen bringen. Wenn die wüssten, mit welchen Koseworten sich unsere Bewunderung ausdrückt, oder dass ich schon aus Wachs und kleinen Wrackteilen eine Motorbootfahrer-Puppe gebastelt und die Nadeln in Position gebracht habe…