Guadeloupe und Montserrat

Die Reise führt uns von Dominica weiter über die Les Saintes und Guadeloupe nach Montserrat. Die Farbenpracht der französischen Inseln, die wunderschönen Villen und fantastischen Gärten brauche ich nicht noch einmal im Detail erwähnen, es sind kleine Paradiese voller Schönheit.  Leider können wir uns nicht voller Freude dem Erkunden der Insel widmen, dass unser Hund Momo daheim nicht mehr auf unsere Rückkehr warten konnte schmerzt uns zu sehr, eine Wanderung auf den höchsten Berg der kleinen Antillen, den Soufriere auf Guadeloupe, hilft uns. Auf Montserrat können wir dann hautnah erleben, welchen riesigen Verlust die Menschen hier vor nur 20 Jahren erleben mussten, als der Vulkan in gewaltigen Eruptionen die Hauptstadt zerstörte und unter einer dicken Asche und Sand-Schicht begraben hat, ein bewegendes Zeugnis von Vergänglichkeit und der gewaltigen Kraft der Natur, ein Bild von unvorstellbarer Zerstörung, aber auch von Hoffnung, wenn man sieht, dass das Leben in den neu gegründeten Ortschaften wieder aufblüht.

Regatta

Beim sonntäglich-abendlichen Grillfest in der Prince Rupert Bay plaudern wir über den am nächsten Tag geplanten Aufbruch nach Guadeloupe, und da fällt plötzlich das Zauberwort „Regatta“, die WHY KNOT IV kündigt an, dass sie mit uns (KALI MERA und ME) um die Wette segeln wollen.

Jetzt ist es ja so, dass viele Fahrtensegler gar keine Regattaambitionen haben, es geht uns um materialschonendes, sicheres und wohl auch bequemes Segeln, nicht um eine Jagd nach Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit auf einer Fahrtenjacht ist so ein ganz spezielles Thema. Hochinteressant ist es, dass fast jeder Fahrtensegler, wenn er ganz alleine auf hoher See unterwegs ist, absolute Traumrekorde aufstellt. Es dürfte ein Naturgesetz sein, dass die natürliche Obergrenze der Geschwindigkeit einer Yacht, – die sogenannte Rumpfgeschwindigkeit -, regelmäßig deutlich überschritten wird wenn das Schiff sich nicht beobachtet fühlt. Statt der üblichen 6-8 Knoten zischt man dann plötzlich mit über 10 Knoten durch das Wasser, gemütliche Fahrtenkatamarane beschleunigen dann sogar in Gleitfahrt auf angstmachende 20 Knoten (Flugzeuge würden hier schon mehrfache Schallgeschwindigkeit erreichen), aber kaum segelt man in Sichtweite von Bekannten so wird die Geschwindigkeit aus Rücksicht gedrosselt. Rücksicht –  auf das Schiff damit es nicht überbelastet wird, auf die anderen Segler, um Ihnen nicht die Vorfahrt zu nehmen, oder auch auf die Fische, damit man diese nicht versehentlich überfährt. Man fährt sozusagen immer nur in den ersten drei Gängen damit alles überschaubar bliebt, oder mit „nur angelehntem Gasfuß“ im „Overdrive“, um ruhig und schonend dahinzugleiten.

Auf die „in Sichtweite“ erreichbare Geschwindigkeit angesprochen wird in der Regel klargemacht, dass es ums sicher Ankommen geht, ums Genießen, und auch darum, endlich die ersehnte und notwendige Langsamkeit ins Leben einsickern zu lassen.  Hatten zwei Yachten für eine Überfahrt zwischen zwei Inseln eine ähnliche Zeit gebraucht, dann war es im Gespräch danach oft eine zwar schnelle Fahrt, aber halt natürlich nur verhältnismäßig schnell, weil man hat ja stark gerefft, Komfort und Sicherheit stand nämlich im Vordergrund, Ankommen ist wichtig und nicht wer schneller segelt.

Interessanterweise kommt diese Ruhe, Gelassenheit und umsichtige Art erst im Hafen oder am Ankerplatz so richtig ans Licht.  Unterwegs war das noch ganz anders – sobald ein anderes Segelschiff mit ähnlichem Kurs in Reichweite kommt, da zwingen alte Verhaltensmuster, die wohl noch aus einer Zeit stammen, als Freibeuter und Handelsschiffe eine ganz besondere Liebe füreinander auf den Weltmeeren ausleben konnten, den Skipper in einen Wettkampfmodus. Ein Segler mit demselben Kurs ist entweder eine Beute oder ein Jäger – sieht man eine Chance schneller zu sein, dann wird er blitzschnell in die Kategorie „Beute“ eingereiht, erscheint der andere als ein wenig schneller (aber keinesfalls aussichtslos überlegen) dann ist er der Jäger und wir sind die Gejagten. Kann man erkennen, dass es chancenlos ist weil man mit einem alten VW-Bus auf der Autobahn dahinzuckelt und ein Porsche im Rückspiegel auftaucht, dann wird der Porsche sofort disqualifiziert weil man nur gegen andere „Bullis“ antritt und der Blutdruck geht wieder auf Normal.

Hat die Jagd erst begonnen dann wird plötzlich am Rigg herumgezogen, Holepunkte werden verstellt (auf der ganzen Atlantik-Querung hat man das Zeug nicht anrühren müssen aber jetzt geht es um jeden Zentimeter), das lang verschollene Buch „Regatta auf Fahrtenyachten“ ist plötzlich wieder da, hier wird dichter geholt, dort ein wenig gefiert, bei wenig Wind vielleicht (aus Sicherheitsgründen) die Maschine angeworfen (aber nur dann wenn der Auspuff auf der Seite ist, die vom anderen Schiff nicht gesehen werden kann). Auch wenn man mit besorgtem Blick auf Wind, See und Mast üblicherweise vorsichtig und frühzeitig Segelfläche verringert so wird es nun klar, dass man bei den läppischen 20 Knoten Wind noch ganz und gar nicht reffen braucht, das Schiff freut sich, wenn es etwas mehr Segel tragen darf, das Rigg muss das schon aushalten, hätte sonst kein Rigg werden sollen. Die ganze Hektik hat ganz plötzlich ihr Ende, wenn man vom Jäger in Luv überholt wird – wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommt dann die Erkenntnis, dass es nun Zeit ist, Segel wegzunehmen, weil der Wind gerade zugenommen hat. Etwas unverantwortlich ist es eigentlich wie viel Segelfläche auf dem Schiff gesetzt wurde, das da völlig überpowert vorbeigezogen ist, ist wohl ein Charterschiff (!!!), eh klar, denen ist das Material ja egal. Und dass so ein großes Schiff ja von der Bauform (natürlich, Länge läuft!) her viel schneller segelt weiß jeder, interessant ist nur, warum die doch so lange gebraucht haben uns Cruisern nachzufahren, die hätten ja längst vorbeizischen müssen. Außerdem wird in der Skipper-Todo-Liste gedanklich notiert dass das Unterwasserschiff gründlich inspiziert werden muss, es dürfte doch Bewuchs drauf sein, hätte man es eilig würde das sicher einen halben Knoten bringen, aber Gott Sei Dank sind wir ja Fahrtensegler und wollen es sicher und komfortabel haben.

Konnten wir unsere Pole-Position verteidigen, oder den armen Tropf vor uns überholen, dann sind wir stolz auf unser Schiff und unsere Leistung. War es sogar eine größere Yacht als unser Renner dann fühlen wir tiefe Zufriedenheit, konnten wir eine kleine Yacht abhängen dann kommt uns in den Sinn, dass diese doch von der Bauform her viel wendiger sein müsste als wir, schon bei Salamis hatten die großen Schiffe der Perser gegen die kleinen wendigen griechischen Gefährte keine Chance, – aber nicht so mit uns. Und wie wir vorbeigezischt sind, mühelos und schnell, Können und Erfahrung macht sich halt bezahlt.

Ganz anders ist die Situation natürlich wenn es eine Regatta gibt, ein ganz offizielles Wettfahren. Hier sind die Verhältnisse plötzlich klar, jeder kann offen zugeben, dass er gerne schnell wäre, danach dazu stehen, dass es einfach nicht schneller gegangen ist und dass man sich redlich bemüht hat. Die Geschwindigkeiten werden plötzlich ehrlich, die Windmesser zeigen plötzlich fast gleich an (ein anderes Mysterium – das hier nicht erschöpfend behandelt werden kann – ist es, dass zwei Yachten, die die gleiche Strecke zum selben Zeitpunkt gesegelt sind, oft völlig unterschiedliche Windstärken hatten. Konnte eine Yacht mit 18-20 Knoten Wind und 2 Meter Welle die Strecke bewältigen musste die andere mit 30 -35 Knoten Wind und 3-4 Meter Welle kämpfen. Bei solchen Wetterverhältnissen zeigt sich nämlich das Können des Kapitäns besonders, weil er trotz der erschwerten Bedingungen die Strecke beinahe in der gleichen Zeit schaffen konnte).  Segeln wird plötzlich zum freudig sportlichen Ereignis, jeder gibt das was er kann und seinem Schiff zutraut.

Bei unserer kurzen Regatta ohne exakte Zeitmessung von Dominica nach Guadeloupe hatten wir folgendes Ergebnis: Start war für ungefähr 09:30 vereinbart, WHY KNOT IV ist schon um 09:15 losgezischt, ME war pünktlich auf der Startlinie und die KALI MERA ist um 09:45 Anker auf gegangen, weil eine Viertelstunde Verspätung bei der KALI MERA Crew systemimmanent ist. ME hat als erste eine Boje bei „The Saintes“ ergattert und haushoch gewonnen, danach kam WHY KNOT IV und zum Schluss die KALI MERA, insgesamt wohl ähnlich schnell als die Nummer zwei.  Wind zwischen 20 und 25 Knoten aus NE, in Böen etwas über 30, Welle zwei bis dreieinhalb Meter, unsere Geschwindigkeit konstant zwischen sieben und acht Knoten, Spitzen bis neun Knoten, ein spritzig-schnelles, schönes und anstrengendes Segeln.

Hochsee-Regatta-Segeln mit Freunden macht Freude!

 

 

Dominica – low cost Wanderung

Nach so vielen Inselrundfahrten und geführten Touren steht uns der Sinn zwar weiterhin nach Bewegung und nach Neuem, aber diesmal wollen wir endlich ganz alleine und auf uns selbst gestellt bleiben. Wir laden uns einen GPX Track auf unser Garmin und stapfen direkt in Portsmouth los, wandern den Round-The-Island Trail bis hinauf an den Nordspitz von Dominica.  Aus den geplanten vier Stunden sind dann sieben geworden, eine wunderschöne und auch durchaus anstrengende Wanderung durch den Urwald, den Strand entlang aber auch über die verkehrsarme Landstraße, bergauf und bergab. Wo auch immer wir Menschen treffen werden wir freundlich begrüßt, einmal kaufen wir in einer Garage am Straßenrand (mit der Aufschrift „Bar“) frisches Obst und Gemüse, die Kokosnuss bekommen wir als Wegzehrung geschenkt, frisch ausgenommen und entgrätet. Als wir zahlen wollten bekommen wir zur Antwort „No Money, no Money! Money is nothing, I do not need it. When I die, I will die alive!“. Dominica gefällt uns besonders gut, hier herrscht eine Ungezwungenheit und heitere Fröhlichkeit, hier gehen wir nur mit Wasser und Proviant bewaffnet wandern und fühlen uns sicher, hier haben die Leute trotz der Armut eine so positive Ausstrahlung, dass wir uns richtig „geborgen“ fühlen. Hier werden keine Dinghis als Schutz gegen Diebstahl abgesperrt, hier soll man die Schlösser und Stahlseile ruhig im Boot lassen und die normale Leine nehmen, sonst können die Dinghis bei plötzlichem hohen Schwell von den Boatboys nicht an Land gezogen werden, damit sie am Dinghi-Steg nicht wund gescheuert werden.

Der bunte Markt am Samstag und Sonntag ist eine Augenweide, hier kauft man lokal, frisch und exotisch, und das zu Preisen, die das Seglerherz höherschlagen lassen. Statt unseren Frühstücks-Tee trinken wir morgens am Markt frische Trink-Nüsse, fangfrische Marlin-Filets wandern vom Fischmarkt in unseren Kühlschrank und am Abend auf die Teller. Es sind angenehme Tage hier, die Zeit vergeht schneller als geplant und die geplante Woche haben wir deutlich überzogen wenn wir morgen mit dem angesagten passenden Wind nach Guadeloupe weitersegeln.

Dominica – Rettungsmanöver und große Belohnung

Ich sitze gerade gemütlich an Deck, hingekuschelt in die ganzen Polster, die ich um mich aufgehäuft habe, so dass es im Cockpit ausschaut wie im Gemach eines Sultans, und lese die höchst vergnüglichen Bücher von Herrn Vettermann. Es herrscht eine leichte Brise, das Schiff schaukelt gemütlich vor sich hin, ruckelt hin und wieder am Anker wir fühlen uns pudelwohl. Da klopft es plötzlich an der Boardwand und ein aufgeregter Segelnachbar steht in seinem Dinghi neben uns und deutet hinter mich. Ich beschließe den üblichen Smalltalk (where do you come from? what are your travelling-plans for the season? what is on your repair list for today? How many EC is the beer in the beach-bar?…) unter Seglern kurz auszusetzen und schaue in die Richtung in die er deutet – da ankert doch wirklich direkt neben uns eine Yacht, die kurze Zeit vorher am anderen Ende der Bucht beheimatet war. Und irgendwas stimmt nicht, weil sie bewegt sich, trotz Ankerkette im Wasser, immer schneller in unsere Richtung.  Mit aller meiner langjährigen seglerischen Erfahrung, unter Abwägung verschiedenster Einflussfaktoren wie Wetterbedingungen, Wellengang, und auch dass keine Besatzung an Bord ausgemacht werden konnte, komme ich zum einzig richtigen Schluss – sie driftet, der Anker hält nicht, und wir sind das letzte feste Teil zwischen ihr und der mexikanischen Küste.  Blitzartig reagieren wir, hinaus mit unseren Fendern, Leinen vorbereiten, Kanonen gefechtsklar machen, Motor starten, längsseits gehen, und dann entert Tadeja das angreifende Schiff, fängt die Ausreißerin wie ein junges bockendes Pferd mit dem Lasso ein und vertäut sie fest an unseren Klampen. Bei ihren verzweifelten Versuchen zu entkommen gelingt es ihr noch, einen Kratzer in unsere makellose Bordwand zu machen, so als Rache, weil wir ihr die langersehnte Freiheit verwehrt haben.  Während wir warten, bis die ahnungslosen Landausflügler zu unserem neuen ‚Beiboot‘ zurückkommen, malen wir uns schon aus, mit welchen überschwänglichen Dankesbekundungen wir uns überhäufen lassen werden. Immerhin ist so ein Schiff nicht gerade billig und es würde uns mindestens 10% des Wertes als Bergeprämie zustehen. Einige Stunden später ist es dann so weit, zwei Dinghis kommen herangeschossen, erstaunte Gesichter und große Augen. Als siegreicher Kapitän kommandiere ich hierauf das Ablegemanöver, empfehle noch so nebenbei doch zukünftig mehr als 20 Meter Kette zu geben, wenn man vom Schiff geht. Das „Packerl“ löst sich dann ohne weitere Probleme auf und die schockierten Eigner verankern ihren Streuner nach fast stundenlangem Herumkreisen aufs Neue.  In der Zwischenzeit warte ich schon auf den Besuch der beiden amerikanischen Eigner um unseren Schaden zu regulieren und um die Dankesbezeugungen huldvoll entgegenzunehmen. Leider wird mir das „auf der Lauer liegen“ bald zu fad, weil niemand vorhat, bei uns vorbeizukommen.  Erst Stunden später bekommen wir Besuch, und erfahren dann im Detail dass Ric (so heißt der Kapitän des Unglücksdampfers, im Zivilberuf Verkäufer) als Segler auf einen ausgesprochen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann ist und auch professionell Regatta gesegelt ist. Als mir das dann zu bunt wird und ich auch zur Einsicht komme, dass unsere Heldentat gar nicht angesprochen werden wird, erwähne ich höflich, dass wir nun an Land gehen möchten, vorher aber noch die Regulierung des Schadens geklärt haben wollen. Alles kein Problem, Ric ist ja Gottseidank auch Schiffsbau-Experte, er wird das selber machen und alles sei wieder erledigt.  Nix ist erledigt, wir sind leicht verstimmt, werden das professionell reparieren lassen und über die Versicherung von Ric abrechnen.  Kurz bringe ich das Gespräch auch noch auf das Thema „Bergelohn“, verweise auf die notwendige und natürliche Hilfsbereitschaft der Fahrtenseglergemeinschaft und wie schön es doch ist, dass dabei Geld nie eine Rolle spielt und wir natürlich keinerlei finanzielle Ansprüche stellen, aber wenn ein Flascherl Schampus danach auf die KALI MERA herüberwandert dann freuen wir uns sehr.  Sales Manager Ric versteht den Wink mit dem Zaunpfahl und zwei Tage später bekommen wir zwei Flaschen Wein auf unser Schiff geliefert mit dem Hinweis es sei zwar „no champagne“ aber sie werden uns sicher dennoch schmecken. Ich bedanke mich, zische in den Salon und packe die edlen Tropfen voller Vorfreude aus – aber die Vorfreude schafft es nicht, sich in eine Mittel- oder zumindest Nachfreude zu verwandeln, es sind leider die Weine, die ich trotz aller seglerischen Sparsamkeit und budgetärer Beschränkungen beim Leaderprice in Martinique nicht auf die Degustations-Liste gesetzt habe, weil man nicht einmal in Frankreich um zwei Euro pro Flasche einen ordentlichen Wein bekommt.

Dominica – Wanderung zum Boiling Lake

Dominica gilt als Naturparadies, und das völlig zu Recht. Einige aktive Vulkane treiben hier ihr Unwesen, 365 Flüsse gibt es, Wasserfälle und heiße Quellen sind in schon fast inflationärem Ausmaß vorhanden.  Dazwischen gibt es zwei größere Städte, ein paar indianische Ureinwohner, die in einer Art Reservat leben und unvorsichtige Touristen gefangen nehmen und erst dann wieder freilassen, wenn diese ausreichend Bastkörbe erworben haben, dann noch einige winzige Dörfer, und jede Menge Regenwald.

Dominica ist als Wander-Insel bekannt, und die wohl bekannteste Wanderung führt zum Boiling Lake, einem See, der sich einen aktiven Vulkankrater als Heimat ausgesucht hat und dafür als Revanche von diesem ordentlich aufgekocht wird.  Die Wanderung gilt als anstrengend und gefährlich, ohne Guide solle man diese auf keinen Fall unternehmen (very very dangerous). Jetzt haben wir ja seit St. Vincent eine Guide-Allergie und wollen die Wanderung jedenfalls alleine machen, es werden mir aber im Rahmen der Sonntag-Abend-Beach-Party von den Boat-Boys ausreichend viele Rumpunch eingeflößt und dann  bekomme ich ein Spezialangebot das wir nicht ablehnen können (wer will schon sein Lebensende in einem kochenden Geysir im „Valley of Desolation“ verbringen, und genau das ist leider das einzige vorstellbare Ergebnis, wenn wir uns alleine ohne den Schutz durch einen bestens ausgebildeten Guide auf den todbringenen Pfad begeben). Außer Tadeja und mir ist auch noch ein deutsch-chinesisches Seglerpärchen mit von der Partie, unser Rastafari Michael als Fahrer und Francis, unser Rasta-Guide. Schon die Fahrt mit dem Kleinbus durch die abenteuerliche Landschaft ist ein Erlebnis und wiegt das um 06:00 Aufstehen auf, durch wilde Schluchten und über Gebirgskämme nähern wir uns unserem Einstiegspunkt in den Nationalpark. Schwefeldämpfe hüllen uns ein, und Schuld ist nicht das gestrige Abendessen, sondern die vulkanische Aktivität, die hier überall spürbar ist; natürliche Schwefelbäder gibt es an allen Ecken und Enden und so mancher Bach, der zu Tale schießt, ist von so hitzigem Gemüt, dass man sich an ihm die Finger verbrennen kann.

Guide Francis, ein liebenswerter und durchtrainierter Local, informiert uns über die übliche Gehzeit sechs Stunden und dass wir nach der Wanderung noch Zeit für ein erfrischendes Bad hätten.  Also stapfen wir frohgemut los, machen ein paar tüchtige Schritte um dann von Francis gleich wieder eingebremst zu werden – die Gruppe muss zusammenbleiben. Unsere chinesische Freundin, wandertauglich ausgestattet mit einem Rücksäckchen aus der Kosmetikabteilung und einem ordentlichen Sortiment an Kameras ist flottes Wandern nicht so gewöhnt, ihr Herz schlägt eher für das Beobachten der Natur und für das Einfangen sämtlicher Eindrücke auf die Speicherchips Ihrer Kameras. Und so geht unser Trüppchen sehr beständig und ebenso langsam durch den beindruckend schönen Regenwald auf das Ende der ersten Sonderprüfung, den ersten Gipfel, zu.  Der gefährliche Wanderweg entpuppt sich als gut angelegter und schön befestigter Trail, über den man trockenen Fußes ohne im Schlamm zu versinken ausgezeichnet vorankommt. Wir entdecken die Langsamkeit und schrauben uns im Schneckentempo nach oben, die neue Prognose von Francis auf Basis der bisherigen Geschwindigkeit ist zwischenzeitlich eine Wanderzeit von zehn Stunden. Tadeja kann sich wie üblich mit der Situation gelassen abfinden, nur ich hüpfe innerlich wie ein Rumpelstilzchen auf und ab und ich fürchte, dass ich – wie ein Pferd, dem man zu viel Hafer gegeben hat – einfach davonstürmen werde, ohne etwas dagegen tun zu können. Aber die Beharrlichkeit setzt sich durch, und der Weg wird anspruchsvoller, so dass man beide Hände zum Klettern braucht und dabei keine Fotopausen mehr machen kann, und wir steigen einige Stunden später hinab ins „Valley of Desolation“. Dieses Tal ist in Wirklichkeit kein Tal sondern der Krater eines Vulkans, der noch lange nicht vorhat in Pension zu gehen. Überall zischt und raucht es, Baby-Geysire zeigen ihr Können und sprudeln lustig vor sich hin, der heiße Bach ist einmal schwarz gefärbt, dann wieder blau, dicke Schwefelablagerungen sind überall zu sehen, und dort wo es vor kurzem noch ganz fest und stabil ausgesehen hat, ist plötzlich ein blubbernder Kochtopf.  Einen fixen Pfad gibt es hier nicht, und wir verstehen, was man uns mit „very dangerous“ sagen wollte – hier muss man wirklich etwas aufpassen und wissen, wohin man seinen Fuß setzt, damit man diesen nicht am Abend mit Sauerkraut verspeisen kann.  Francis bemalt unsere Gesichter nach dem alten Boiling-Lake-Guide-Ritual mit weißem Lehm, und wie eine Horde Indianer auf Kriegspfad schleichen wir auf verschlungenen Pfaden durch diese bizarre Landschaft, immer auf der Hut vor drohender Gefahr aus der Tiefe.

Streckenweise müssen wir ein wenig klettern, aber die schwierigen Passagen sind gut gesichert, und mit Francis Hilfe bezwingt unsere Alpinistentruppe jedes Hindernis. Bäche werden durchquert, und an Wurzeln hangeln wir uns kleine Abhänge hinauf und hinunter, einen kurzen steilen Aufstieg durch die bizarre Landschaft zum Boiling Lake schaffen wir auch noch, und dann stehen wir staunend vor diesem Wunder der Natur. Vom Kraterrand schauen wir in die Tiefe, und unter uns schaut es aus, als ob einer der Giganten aus der griechischen Mythologie Nudel kochen würde, es sprudelt und wallt, dampft und stinkt. Wir halten einen Sicherheitsabstand zum Kraterrand, weil wir keinesfalls die Suppeneinlage darstellen wollen, und bleiben schön hinter dem Warnschild, das von großer Gefahr kündet.

In einem Moment sind wir mit dem ganzen Berg eingehüllt in dichten Nebel, im nächsten sehen wir schon wieder klar hinunter bis zum karibischen Meer.  Jetzt bräuchten nur noch ein paar Saurier auftauchen und die Idylle wäre perfekt (vorzugsweise Pflanzfresser, weil von einem Tyrannosaurus Rex rund um den See gejagt zu werden das stelle ich mir noch weniger lustig vor als in einem der kleinen Geysire zu duschen).

Nach einer ausgiebigen Jause geht es wieder zurück ins „Tal der Zerstörung“, wo uns Francis einen kleinen lauschigen Warmwasser-Whirlpool mit privatem Wasserfall unter grünem Dschungeldach zeigt. Wir suhlen uns im frischen Schwefelwasser und fühlen uns wie im Paradies, aber so wie Adam und Eva müssen auch wir selbiges wieder verlassen, wir sind schon spät dran und tun gut daran uns zu beeilen, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück zu kommen. Kurz nach unserem erfrischenden Bad machen wir Bekanntschaft mit ein paar Regentropfen, zuerst nur mit der Vorhut, die auskundschaftet, ob es sich lohnt, richtig loszulegen und wann der optimale Zeitpunkt dafür wäre.  Der ist natürlich genau dann, als wir ohne Blätterdach die Steilwand hochklettern, und darum fangt es in diesem Moment wie wild zu schütten an. Es gießt wie aus Kübeln, ich habe manchmal das Gefühl, dass direkt über mir jemand mit dem Gartenschlauch steht, bald sind wir bis auf die Unterhose klatschnass, meine Wanderjacke hält zwar angeblich eine enorme Wassersäule aus, aber als Unterwasser-Anzug ist sie dennoch unbrauchbar. Der schöne trockene Pfad durch den Regenwald verwandelt sich in ein Überschwemmungsgebiet, wir wandern alsbald in einem fröhlich plätschernden Bach nach unten, es wird kalt und auf unerklärliche Art beginnt sich der Weg zu dehnen, er wird immer länger und länger und will partout nicht mehr aufhören. Knapp vor Einbruch der Dunkelheit sind wir nach unserer acht Stunden dauernden Wanderung wieder bei unserem Auto, wickeln uns in ein Handtuch und lassen uns vor Kälte bibbernd zurück zu unserem Heimathafen Portsmouth bringen. Dort gibt es dann zum Aufwärmen am Schiff einen Rum und noch im Stehen schlafen wir im Salon ein, mit dem schönen Gefühl, etwas geleistet und eine unvergessliche Wanderung von betörender Schönheit gemacht zu haben.

Dominica – Indian River und Inselrundfahrt

Bei der Ankunft in Portsmouth werden wir schon vom Boatboy Daniel begrüßt, hier hat man in den letzten Jahren ein ausgezeichnetes System entwickelt, mit dem man möglichst reibungslos und effizient die Yachties melken kann, wobei diese noch froh über dieses Service sind. Die einlaufenden Yachten gehören jeweils zu einem Kontingent, das einer der fünf oder sechs „Touristik-Unternehmen“ in der Prince Rupert Bay zugeordnet wird. Wir gehören Daniel, und der zu Eddison Tours. Weil wir ja Daniel gehören, lassen uns alle anderen Boat-Boys in unserer seligen Ruhe, alle sind freundlich und niemand aufdringlich. Die Bucht ist sicher, weil die Guides gemeinsam eine Organisation gegründet haben, PAYS, die dafür sorgt dass kein Dinghi gestohlen wird, niemand beraubt, belästigt, angepflaumt oder sonst wie schlecht behandelt wird. Wann auch immer man jemandem begegnet, man wird freundlich begrüßt und zuvorkommend behandelt.  Die Pflichttour ist für jeden Neuankömmling die Boots-Tour in den Indian-River, diese – so das ungeschriebene Gesetz – muss man mit dem Boatboy machen, zu dessen Kontingent man gehört. Dann hat man für die weiteren Touren freie Partner-Wahl.  Wir werden also von Daniel früh am nächsten Morgen abgeholt, und hinein geht es in die magische Welt des Indian Rivers, der Motor wird aus und die Paddel eingeschaltet, lautlos gleiten wir durch den von bizarren Mangroven gesäumten Fluss. Eine der Hauptattraktionen ist die Hütte der Hexe Calypso, die allen „Fluch der Karibik“ – Freunden ein Begriff ist, hier wurden die dazugehörigen Filmszenen gedreht. Die Vegetation an den Ufern ist großartig, der Fluss selbst ist gar nicht so spannend wie erhofft, es gibt hier ja weder Krokodile noch giftige gefährliche Schlangen, die auf den Bäumen über dem Wasser hängen und den Touristen auflauern. Am Ende des „schiffbaren Abschnitts“ gibt es dann noch eine Dschungel-Bar, die aber Gottseidank um diese Zeit noch nicht in Betrieb ist, und so können wir das Geschenk der Einsamkeit und Stille weiter genießen.

Tags darauf machen wir gemeinsam mit den Besatzungen der ME, WAGEMUT und LANCHEN die obligate Inselrundfahrt mit Wasserfall-Wanderung, wir erfahren viel Wissenswertes über Dominica, besuchen eine klitzekleine Schokoladefabrik, machen viele Fotos und sind richtig brave Touristen.

Martinique

Der Anker fällt in der großen Ankerbucht vor Sainte Anne – und damit sind wir wieder in Europa angekommen – ja, das geht hier schnell mit den Kontinenten – in den Karibischen Inseln ist von Süd-, Mittel- und Nordamerika, Frankreich, Großbritannien und Holland innerhalb weniger Meilen alles vertreten.

Das Einklarieren auf Martinique bringt einige Annehmlichkeiten mit sich – wir können zum Beispiel wieder nach Hause telefonieren (E.T. lässt grüßen) – was uns besonders um Weihnachten und Neujahr herum, das wir hier verbringen wollen, gelegen kommt –nach Belieben französischen Käse und französischen Wein einkaufen und mein Frühstücksjoghurt hat ein Ablaufdatum vor 2020! Es macht zwar nichts, wenn anderswo die Supermärkte nur spärlich bestückt sind und man mit dem auskommen muss, was auch die Einheimischen zur Verfügung haben, aber wenn man plötzlich in einem Supermarkt wie Carrefoure steht, der alle Stücke spielt und alles hat, dann schlägt doch die alte Konditionierung zu und man steht vor den überfüllten Regalen wie ein Kind vorm Weihnachtsbaum.

Hier treffen wir auch einige unserer alten Freunde wieder, Reiner von der BALOU, Daniel und Anette von der ME und einige andere Schiffe, die nach und nach von Trinidad herauftrudeln oder schon vor uns da waren. Also werden beim Sundowner mal auf diesem, mal auf jenem Schiff, in der einen oder anderen Bar die Neuigkeiten und Sommererlebnisse aus dem ‚anderen Leben‘ ausgetauscht, Pläne für die nächsten Tage geschmiedet – was in Gesellschaft immer leichter fällt, denn Herbert kann manchmal in getaktete Tagesablaufbedürfnisse verfallen, die ich mich bei der Ausflugsplanung weigere zu erfüllen – was natürlich gleichbedeutend ist mit Widerstand gegen die allmächtige Skippergewalt und nicht goutiert wird. Schließlich setzt sich die intuitive Tagesgestaltung mit einer Vielzahl an zur Auswahl stehenden Möglichkeiten durch, und mit dem Mietauto machen wir uns auf zum Insel erkunden.

Das startet – wie auch anders – im Carrefoure. Die Gänge werden durchforstet, in den Einkaufswägen türmt sich langsam eine kleine Gemischtwarenhandlung mit Waren aller Art, die uns im nächsten halben Jahr als Vorrat dienen und das Leben angenehm machen wird. Und weil wir schon beim Einkaufen sind, stürmen wir noch das Sportgeschäft Decathlon, um uns mit Schwimmbrillen, Wasserball, Handtüchern, Lampen, Flip-Flops, die ja ständig kaputtgehen, und anderem Kleinrat zu bestücken. Schließlich ist ja bald Weihnachten. Das ist auch der Grund, warum wir die Heimfahrt im Schneckentempo zurücklegen – in einer nicht aufhören wollenden durchgehenden Kolonne zwischen Fort de France und Martinique werden wir unserem Ziel näher geschoben. Eigentlich wollten wir den Einkauf mit mehreren (zeitlich genau festgelegten!) Besichtigungen verbinden, doch in der Zwischenzeit ist es schon dunkel geworden, und die eigentliche Schwerarbeit steht uns noch bevor– wie schaffen wir das alles aufs Schiff? Das steht schließlich vor Anker, und das Dinghi am Steg. Also alles zum Steg geschleppt, ins Dinghi versenkt (es liegt ja ungefähr zwei Meter tiefer als der Steg) und dabei aufpassen, dass es nicht untergeht. Dann tuckert Herbert unter bedrohlichem Wellengeschaukele und mit einer Stirnlampe bewaffnet ein paar Mal zwischen Boot und Steg hin und her – an ein ins Gleiten kommen ist beim besten Willen auch mit dem neuen Super-Turbo-Motor nicht zu denken – bis auch ich noch bei der letzten Fuhre ein Plätzchen im Dinghi ergattere und die ganze Fracht glücklich und trocken am Boot angekommen ist. Gott sei Dank hat die KALI MERA so viele Geheimfächer, dass alles in ihrem Bauch verschwindet und man sich am Boot wieder frei bewegen kann, ohne über Schachteln, Flaschen, Dosen und umherrollende Orangen zu stolpern. Den Tag lassen wir bei einem guten Gläschen französischen Weins ausklingen.

Der folgende Tag steht ganz im Zeichen der Inselentdeckung. Aus Schaden klug geworden biegen wir bei der erstbesten Möglichkeit von der Hauptstraße ab, die sich schon wieder zu verstopfen beginnt, und schlagen uns durch unbekanntes Gelände durch. Und schon umfängt uns die Natur mit einer Intensität und Farbenpracht, die unsere Lungen durchatmen lässt und die Sinne weit öffnet. Martiniques Vulkanboden ist fruchtbar, überall sieht man Bananen- und Zuckerrohrplantagen, dichten Dschungel, und grün, grün, grün in allen Schattierungen. Steil in den Berg geschlagene Straßen scheinen manchmal ins Nirgendwo zu führen, doch dann lichtet sich das Panorama, bunte, große Siedlungen und Anwesen mit gepflegten blütenreichen Gärten säumen den Weg, der Blick schweift über Almwiesen in Kleinformat, wo mächtige Stiere gemächlich ihre Häupter nach uns drehen – diese allerdings nicht in Kleinformat. Diese Riesen leben in enger Freundschaft mit kleinen weißen Reihervögeln, die seelenruhig auf ihren Rücken herumspazieren dürfen und ihnen die köstlichen oder lästigen Insekten – je nachdem –  hinter den Ohren herauspicken, während die Rinder ungerührt weitergrasen. Der Weg führt uns über kleinste und unwegsamste Sträßchen, teilweise durch reißende Wassermassen, die wegen der immer noch anhaltenden Regenfälle einfach quer über die Straßen statt unten durch fließen und uns einmal sogar zum Umdrehen zwingen – nicht so die Einheimischen, die mit ihren Geländewägen wie in einem Actionfilm einfach hindurchpflügen, ohne, wie befürchtet, seitlich hinweggeschwemmt zu werden. Dafür brauchen wir auch fünf statt eineinhalb Stunden bis nach Sainte Pierre. Dort wollen wir die Überreste der Stadt besichtigen, die nach dem Vulkanausbruch 1904 (da war mein Großvater gerade mal drei Jahre alt) nicht mehr in ihrer alten Pracht wiederaufgebaut wurde. Alte Abbildungen zeigen das einstige „Paris der Karibik“, das eine Laune der Natur mit einem Atemzug einfach ausgelöscht hat – der Vulkan raucht heute nicht einmal mehr, als wäre er seit Jahrhunderten inaktiv. Der ganze Spuk dauerte angeblich nur Sekunden, alle Bewohner bis auf einen Gefangenen, dessen Zelle man unter dem alten Theater noch besichtigen kann, wurden in den Tod gerissen, die Schiffe im Hafen fingen Feuer und liegen noch heute als Wracks im Hafenbecken unter Wasser.

Den Verursacher dieser Katastrophe wollen wir ganz genau in Augenschein nehmen! Am nächsten Tag packen wir die Wanderschuhe in unsere Rucksäcke, holen Reiner von der Balou ab und mutigen Schrittes nehmen wir zu dritt den Aufstieg in Angriff. Zu Anfang scheint alles ganz einfach, der Weg ist durch Stufen befestigt und es ist wie ein etwas anstrengender Spaziergang. Meist gehen wir durch dichten Nebel, erahnten nur die steil abfallenden und mit sattem Grün bewachsenen Hänge und geben uns ganz der mystischen Atmosphäre des Monte Peleé hin. Oben am Krater angelangt öffneten sich die Nebelschwaden für ein paar Augenblicke und erlaubten uns einen Blick wie durch ein Guckloch bis ins Tal – und schon ging der Vorhang wieder zu. Eine Karte zeigt, dass man den Krater zu dreiviertel umrunden und dann noch ein kurzes Stück bis zum Gipfel gehen muss. Na, ein Kinderspiel, das haben wir in fünfzehn Minuten geschafft! Weit gefehlt! Hier zeigt der Berg, was er kann! Es gibt keine befestigten Treppen mehr, nur noch große Steine, über die man sich an allen vieren hochziehen muss und die gar nicht aufhören wollen, sich übereinander zu türmen. Zudem fängt es heftig zu regnen an und meine lange Hose wird nassschwer und klebt an den Beinen. Aufgeben? Umkehren? Nicht im Traum! Also weiter! Über den Kraterrand wächst ein dichtes Buschwerk, das man besser nicht betritt – man sieht den Boden des Kraters nicht, er ist nebelgefüllt, doch das, was sich erahnen lässt, würde bei einem Fehltritt nichts Gutes verheißen. Durch den Regen wurden die Steine glitschig und man schaut zwischen ihnen hindurch in tiefe Höhlen, also keine feste Erde, auf die man sich wie bei uns in den Bergen verlassen könnte. Eigentlich wollten wir uns gemütlich zur Gipfeljause hinsetzen, so wie sich das laut Herbert gehört, er hat darum auch vorher keinen Bissen gegessen, jetzt stehen wir da, im dichten Nebel, vom Regen gepeitscht und von einem eisigen Wind umweht, aber mit einem Lachen im Gesicht! Ein herrliches Gefühl! Die Jause haben wir im Stehen weiter unten, in einer Regenpause vertilgt.

Wieder im Tal machen wir noch einen Abstecher in die Rumfabrik Saint James und belohnen uns mit einem deftigen kreolischen Abendessen. Die Besichtigung der Rumfabrik La Mauny und der gravierten Steine der Arawakindianer vertagen wir auf ein andermal – und als es dann so weit war mussten wir feststellen, dass die Gravuren nur mit viel Fantasie überhaupt als solche erkannt werden konnten, sie gaben aber Herbert einen Grund zur Belustigung über ‚meine hochinteressante Tour, die als kultureller Höhepunkt unserer Reise gewertet werden könne‘.

Und schon stand Weihnachten vor der Tür, und obwohl die Menschen hier alles überbordend weihnachtlich schmücken und beleuchten, ohne Schnee und Weihnachtsbaum will keine richtige Weihnachtsstimmung aufkommen – da hilft auch die Vorstellung nicht, dass Jesus eigentlich in einem Land mit Palmen geboren wurde. Aber gefeiert haben wir trotzdem, und statt mit der echten Familie, die zu Hause schon in den Betten lag, als wir uns zum gemeinsamen Abendessen zusammensetzen, eben mit unserer großen zusammengewürfelten ‚Seglerfamilie‘. Das Feiern, dass bis in die Morgenstunden dauerte, setzen wir zwei Tage später beim Entenschmaus auf Daniels Katamaran fort und wieder ein paar Tage später gibt es gemeinsam Silvesterschmaus, mit Feiern und Tanzen und allem was dazugehört.

Jetzt ist aber Schluss mit dem Gelage, und am ersten Jänner lichten wir den Anker und segeln mit einem Zwischenstopp in der Schnorchelbucht Anse Noir nach Sainte Pierre. Ich will dort unbedingt den Zoo besuchen, der noch auf der Liste unserer Rundfahrt stand. Mehrere Stunden spazieren wir durch das malerisch angelegte Gelände, wo man zwischen den Ruinen einer alten Rumfabrik, die beim Vulkanausbruch ebenfalls völlig zerstört worden war, mehrere heimische und nicht-heimische Tierarten beobachten kann. Trotz der prachtvollen Natur, in die sich die Gehege scheinbar nahtlos fügen, wissen die Tiere, dass sie eingesperrt sind – besonders tun uns die Jaguare und der Puma leid, obwohl es etwas tröstet, dass der siebzehn Jahre alte Jaguar Ullyses verwundet aufgegriffen und hier gesundgepflegt wurde und er mit dem drei Jahre alten in einem französischen Zoo geborenen schwarzen Jaguarmädchen Faya zusammenlebt. Richtig gut geht es den Kleintieren wie den Waschbären und Faultieren, die in den Bäumen und ihren Bauten vereinzelt oder zusammengedrängt herumhängen, die größeren Affen aber würden wir am liebsten gleich freilassen. Dafür haben es mir die kleinen bunten Papageie angetan, die überhaupt nicht scheu sind und neugierig an meiner Kamera knabbern und unter meine Fransentasche kriechen, um zu begutachten, ob sie zu was taugt. Als ich einen streichele, zwickt er mich zwar in den Finger – so nach dem Motto: ‚lass mich in Ruhe, ich bin ja kein Gemeingut!‘ – sonst lässt er sich bei seinen Untersuchungen aber nicht stören.

Morgen werden wir nach Domenica weiterfahren und die schöne Kulisse Saint Pierres, die mit ihrem großen Dom hinter dem Marktplatz und dem Glockengeläute, das soeben wieder erklungen ist, wohltuend an die kroatischen Küstenstädte erinnert, hinter uns lassen.