Am Abend lichten wir den Anker in Palmeira und segeln Richtung Westen, direkt in die untergehende Sonne. Der starke Wind, der den ganzen Tag durch das Ankerfeld gepfiffen hat, hat abgeflaut, immer noch gibt es hohe Dünung von der Seite und die verbleibenden 15 Knoten Wind reichen nicht aus die Genua bei dem Geschaukel vorm Einklappen zu bewahren. Wir setzen also nur Groß und Besan, beide gesichert mit Bullenstander, und tingeln mit vier bis fünf Knoten Fahrt völlig ruhig trotz fast vier Meter Welle dahin. Der Radar-Alarm wird aktiviert, der Kurs gesetzt und dann fährt die KALI MERA selbstständig nach Sao Nicolau, ca. 80 Seemeilen entfernt. Tadeja geht früh schlafen und ich döse noch im Cockpit, es ist eine helle Nacht, ein Tag vor Vollmond. Bald schlafe auch ich und als die KALI MERA mich weckt weil sie einen Fischer in fünf Meilen mit dem Radar entdeckt, bleibe ich einige Zeit wach, bis der Fischer verschwunden ist, und verkrieche mich dann wieder in die Lotsenkoje. Völlig überraschend werden wir kein bisschen seekrank, ich habe diesmal kurz vor der Abreise zu den köstlichen gegrillten Doraden (Tadeja ist zwischenzeitlich eine Zauberin beim Zubereiten von Fischen, immer wieder gibt es neue Kreationen, eine besser wie die andere) gegen meine Gewohnheit noch ein Bier getrunken, normalerweise sind wir auf See strikt abstinent, und Alkohol soll ja zusätzlich noch Seekrankheit fördern, aber das dürfte wohl für uns Österreicher nicht zutreffen. Ja, vielleicht ist Bier sogar das nun endlich entdeckte biologische und gesunde Mittel gegen Seekrankheit, der venezianische Theriak der Seefahrer, ich nehme mir vor das weiter zu untersuchen und hier eingehende Praxis-Tests zu machen. Und wenn ich darüber nachdenke, dann habe ich meinen großen Bruder Gerald noch nie seekrank gesehen, aber Bier trinken schon oft, da dürfte wohl was dran sein, allerdings könnte es auch entfernt damit zusammenhängen dass er erst selten gesegelt ist…
Nach Sonnenaufgang frischt der Wind auf, es werden dreißig Knoten, in Inselnähe dann böig und tw. etwas mehr, und in Sausefahrt rauschen wir nach Gran Tarafal, bei schweren Fallböen fällt der Anker auf zehn Meter Tiefe in den schwarzen Sand. Neben uns liegt die deutsche ZIG ZAG, Georg und Irene sind einen Tag vor uns von Sal abgereist und haben das AIS eingeschaltet lassen damit wir sie besser finden. Wir werden am Heiligen Abend auf ihr Schiff zum Essen eingeladen, es gibt gebratenes Huhn in Kokos-Sauce, Rindfleisch mit Knödel und Rotkraut und Tadejas Zucchini-Kuchen, deutschen Sekt und spanischen Wein. Es ist Weihnachten einmal ganz anders, bei 28 Grad Luft- und 25 Grad Wassertemperatur, schaukelnd und ohne Christkindlmarkt, Adventbeleuchtung, Einkaufsstraßen, Sonderangeboten, Geschenkswahnsinn, ständiger Stille-Nacht-Berieselung. Georg und Irene segeln mit ganz kleinen Kindern, zwei Jahre und vier Monate, die ZIG ZAG ist ein schwimmendes Kinderzimmer. Sie wollen um die Welt segeln, wenn sie zurückkommen wird ihre Tochter schon in die Schule kommen.
Wir skypen mit unseren Kindern, den Eltern und Tadejas Schwester Martina, es ist schon ein komisches Gefühl dass wir hier so weit weg von unseren Lieben sind, das erste Mal seit ich lebe feiere ich Weihnachten nicht in Tamsweg, aber das unvorstellbare passiert und es scheint auch ohne uns ein schönes Fest dort zu werden, und auch wenn mein erster Impuls ist, wenn es um das traditionelle Weihnachtsessen geht, „bitte hebt mir etwas auf“ zu rufen, geben wir uns bescheiden zufrieden mit dem was wir haben. Und außerdem ist frische Dorade nicht schlechter als alter Lachs, den man räuchern musste damit er nicht verdirbt. Hihi. Aber unsere Familie geht uns schon ab, vielleicht können wir nächstes Jahr zu Weihnachten, wenn die Temperaturen weiter so steigen, schon vom Atlantik bis zum Millstätter-See segeln, von dort werden wir dann sicher abgeholt, mit den Sommerreifen über den Katschberg…
Aber nun zurück in die Gegenwart: Gran Tarafal ist ein netter Ort mit einigen Supermärkten, wir erstehen diesmal sogar Joghurt (Hurra, Frühstück wieder nach Vorschrift), und der Ankerplatz davor ist sehr schön, ruhige See vor einem grandiosen Vulkan-Panorama. Auf der KALI MERA wird wieder repariert, allerdings diesmal keine Schiffselektronik, sondern Tadejas Handy, das tauchen lernen musste, als Tadeja die Stabilität vom Dinghi überschätzte und mitsamt Rucksack in voller Montur baden ging. Nach mehrfachem Zerlegen, Demontage aller Komponenten, Handauflegen, Bachblüten und akribischer Reinigung geht das Ding nun wieder. Ich kann jetzt blind nicht nur einen Palstek machen sondern auch das Display eines Samsung S4 ausbauen….
Der Stefanitag ist Wandertag, wir fahren mit der ZIG ZAG Crew im Aluguer (ein Sammeltaxi mit dem die cleveren Kap-Verdanier das Problem des Individualverkehrs gelöst haben, wenn wohl auch nicht aus Umweltschutzgründen, wieder etwas das man nach Wien importieren sollte, voller Freude stelle ich mir die Gesichter der ja bekannt fröhlichen Wiener vor, wie sie eingezwängt zu zehnt in einem Sammeltaxi fahren, mit lauter Musik sowie Kind und Kegel…) auf die andere Seite der Insel. Sao Nicolau hat sich so eine Art Irokesenfrisur zugelegt, die Südseite (vor der wir ankern) ist völlig kahl, nach einer Fahrt über die Berge mitten durch ein atemberaubendes Panorama ist man plötzlich im Dschungel, es ist grün und üppig bewachsen, wir machen eine Wanderung durch einen Nationalpark mit traumhafter Natur, ich habe gelesen, dass man beim Anblick der bizarren tropischen Landschaft das Gefühl hat, dass man hier King Kong begegnen könnte, und es ist wirklich so (dass es sich so anfühlt, nicht dass wir ihm begegnen).
Der Wetterbericht ist nun der Meinung, dass es in einigen Tagen sehr viel Wind hier geben wird, wir haben aber keine Lust auf eine schlaflose Nacht, so wie die ZIG ZAG diese vor zwei Tagen hier hatte, mit 40 Knoten Wind, also werden wir wieder weiterziehen, nach Mindelo, dort wo sich alle treffen, die dann die nächste Strecke über den Atlantik angehen. Wir wollen den Jahreswechsel dort verbringen und Bekannte wiedersehen.