Von Menorca aus rauschen wir mit unserer „Passat-Besegelung“ vor dem Wind Richtung Festland, es wird eine Achterbahn-Fahrt mit hohen Wellen und Geschwindigkeits-Rekorden, wir sind froh dass wir nach 50 Stunden in das ruhige Mare Menor einlaufen, eine Art Neusiedlersee in Spanien. Dort bleiben wir zwei Tage, warten die Gewitter ab und machen uns dann wieder auf den Weg. Vom Mare Menor nach Cartagena ist es nur ein „Katzensprung“ von 30 Meilen, weiter nach Gibraltar sind es dann 280 Seemeilen, noch zwei Tage und zwei Nächte. Wir müssen uns beeilen, der Wetterbericht erzählt uns plötzlich eine Geschichte von kräftigem Westwind ab Samstag (nachdem er bisher Stein und Bein geschworen hat, dass der Wind frühestens am Sonntag wechselt und bis dahin ein günstiger Ostwind weht), wir brechen auf und „motorsegeln“ durch ruhiges Meer. Zwischendurch fangen wir eine Zwei-Personen-Abendessen-Goldmakrele und können sie diesmal auch an Board bringen, dazu haben wir noch einen fliegenden Fisch im Kühlschrank der uns in der Nacht an Board geflogen ist. Nachdem wir schneller sind als geplant und wir nicht in der Nacht Gibraltar ansteuern wollen, ankern wir vor Marbella, und Tadeja verwandelt unseren Fang in ein köstliches Abendessen, der Fisch wird gegrillt und dazu gibt es gebratene Polenta mit geschmortem Gemüse und Wein von Menorca, großartig! Am Samstag stehen wir zeitig auf und motoren nach Gibraltar, immer wieder begleitet von Delphinen. Auch am Vortag durften wir ganze Delphin-Schulen beobachten, das Meer ist hier anders als in unserem gewohnten Revier. Knapp vor Gibraltar weht uns der Westwind kräftig ins Gesicht, er wird ständig stärker und wir sind froh, dass wir rechtzeitig aufgebrochen sind.
Einlaufen in Gibraltar ist ein Erlebnis, wir haben beinahe das gesamte Mittelmeer durchquert, seit Kusadasi 2281 Seemeilen im Kielwasser gelassen und unser erstes großes Ziel – das Tor zum Atlantik – erreicht, wir sind sehr glücklich!
Gibraltar ist ein belebter Hafen mit Unmengen an Tankern und Frachtern, die hier auf Reede liegen. Mit dem Rad erkunden wir die sehr gepflegte britische Stadt, die ganz anders als auf der Seite Spaniens anmutet und uns mit einem Mal in eine völlig neue Welt eintauchen lässt. Wir trinken ein Bier im „Angry Frier“, fahren rund um den Felsen, kümmern uns nicht um die ganzen Radfahrverbote, sehen ein paar neugierige Affen und machen uns dann wieder auf den Weg über die Fluglandebahn nach Spanien. Dort bereiten wir die KALI MERA darauf vor, die nächsten zwei Wochen alleine zu verbringen – bei uns steht Österreich-Ungarn-Urlaub am Programm.
Meine erste Nachtfahrt wird dunkel und mondlos sein!
Ich bin aufgeregt, meine Sinne sind hellwach, ich stehe auf den Zehenspitzen und spähe in die Nacht hinaus, in der nichts als dunkles Schwarz zu sehen ist. Die Nacht macht mich wach, ich bin nicht müde. Die Auf- und Abbewegungen des Schiffs wirken gemildert, verschwimmen in der Kontourlosigkeit. Nichts als Meer rund um uns, kein Land in Sicht, nicht nur, weil es Nacht ist! Nur ein einziges Mal kommt uns ein Schiff entgegen – geisterhaft werden die Lichter immer größer, ohne dass man erkennen kann, wie nah es wirklich ist. Lange Zeit scheint es, als würde es direkt auf uns zu fahren, unsere Kursänderungen nachvollziehen, uns verfolgen. Ein Schiff in Seenot? Warum steuert es immer wieder auf uns zu? Vielleicht Piraten, die unser Schiff entern wollen?! Die Phantasie schlägt Kapriolen, bis sich abzeichnet, dass das Segelschiff in deutlicher Entfernung an uns vorüberziehen wird, dorthin, wo wir hergekommen sind. Irgendwann löst Herbert mich ab, und als ich aufwache, zeichnet sich bereits die Küste Italiens am Horizont ab.
Die nächsten zwei Nachtfahrten stehen bevor.
Ein blutroter Sonnenuntergang, dann geht die erste zarte dunkelrote Mondsichel auf, um schon bald auch wieder vom Meer verschluckt zu werden. Der Mond hat nur einen kurzen Bogen geschlagen. Es wird in dieser mondlosen Nacht trotzdem nie ganz dunkel, seitlich erleuchtet eine Lichterkette von Siziliens Küste samt Palermo den Horizont, und der Himmel ist ein flimmernder Sternenteppich, die Milchstraße breit und deutlich zu sehen. Sternschnuppen werfen mir vom Himmel Grüße zu. Doch etwas ganz anderes nimmt meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich werde Zeuge eines phantastischen Phänomens im Meer. Große glitzernde Planktonpünktchen zeigen sich im von der Fahrt aufgewühlten Meer an den Schiffsflanken, und dann – ich kann meinen Augen nicht trauen! Blau leuchtende Lichter, die mich an phosphoreszierende wegsäumende Gartenbeleuchtung denken lassen, tauchen auf, schweben an mir vorbei und verschwinden wieder in der Dunkelheit des Meeres. In unregelmäßigen Abständen tauchen sie während meiner ganzen Nachtwache vereinzelt oder in kleinen Grüppchen auf und vertreiben meine Müdigkeit. Wohl Quallenköpfchen, die ihre Schönheit zur Schau tragen!
Die riesigen aber meist sanften Wellen, in denen sich der in der Nacht beleuchtete Großmast über mir bedrohlich von einer Seite zur anderen neigt, legen sich erst in den Morgenstunden, wir motoren, der Wind hat nachgelassen, und wir können in Ruhe kochen und vorkochen. Tagsüber begegnen wir Delfinen.
Die folgende Nacht war wieder nicht dunkel – doch diesmal wurde der nächtliche Himmel in seiner ganzen Breite von einem Blitzkonzert wie von Beethovens 9 Symphonie erhellt. Ein Blitz folgte in kurzen Abständen auf den nächsten und zeichnete bizarre Muster in den verdunkelten Hintergrund.
Und wieder – elektrisiert, mit angehaltenem Atem – beobachte ich – was ist das? Meine Augen werden weit und weiter – blau fluoreszierende Flächen, groß wie Delfine, die an die Oberfläche schweben, sich in einem Bogen zum Schiff, ganz nahe heranbewegen, ein Stück weit mitschwimmen, sich wieder entfernen, noch einmal wiederkommen, dann leuchtet es noch einmal in der Ferne an mehreren Stellen blau auf. War das wirklich? Habe ich das wirklich gesehen? Als Zeugnis, dass sich etwas unglaubliches abgespielt hat, bleiben nur meine erstarrten Glieder – das elektrisierende, Angst und Spannung hervorrufende Körpergefühl war da gewesen – das Phänomen in er Nacht verschwunden. Später erfahre ich, dass Delfine, wenn sie durch planktonreiches Wasser schwimmen, tatsächlich blauleuchtend erscheinen.
40 Seemeilen vor dem Ziel sichte ich am Horizont vor uns das erste Aufleuchten von Sardiniens Nachtbeleuchtung. Als ich am Morgen aus der Kajüte krieche, liegt Sardiniens Küste vor uns, felsig, schroff aufsteigend und lieblich in langgezogenen Lagunen hingestreckt.
Das Meer um die Balearen soll zahlreiche Delfine und auch Wale beherbergen – also beginnt meine Nachtwache schon in den Stunden davor mit „Abgrasen“ der Meeresoberfläche. Drei, vier Meter hohe Wellen, die sich nach tagelangem Wind aus der gleichen Richtung aufgebaut haben und uns Gott sei Dank von hinten treffen und so mitschieben – kämen sie von vorne, müssten wir gegen sie ankämpfen – machen die haargenau 300 Seemeilen lange Fahrt diesmal anstrengend. Mein schläfriger Blick gleitet gedankenlos über das Meer, als ich plötzlich ein Blasen erblicke – und wieder, ja, es ist ein Wal! – die verhältnismäßig kleine Rückenflosse macht mich unsicher – er bläst wieder, ich pfeife, er wendet sich uns zu, bläst wieder, er ist keine 50 m entfernt, wir verringern die Geschwindigkeit, trauen uns aber nicht näher – gemächlich, alle 20 – 30 Sekunden einen hohen Sprühnebel in die Luft versprühend, zieht er fast majestätisch an uns vorüber, seine dunkle Masse vom Meer verborgen. Fast 5 Minuten schauen wir ihm zu und nach. Als wir nachschauen, stellen wir erschrocken fest, dass es ein 18-22m langer Blauwal gewesen sein muss! Ein gelungenes Wale-watching!
Die Nacht über hält mich ein Hörbuch und die Erinnerung an den Wal lange wach! Zweimal noch kommen Delfine, die verspielt durch die Wellen auf uns zuspringen, zum Greifen nahe, sind aber schnell wieder weg.
Als wir nach zwei Tagen und zwei Nächten ununterbrochen wellenreitend an der spanischen Südküste durch eine Brücke ins Mare Menor, ruhig wie ein See daliegend, einfahren, atmen wir beide auf – und plötzlich bekomme ich zumindest wieder Appetit!
Jetzt sind wir schon fast eine Woche hier in „unserem Porto Addaya“ und ankern mitten in dem kleinen See der glücklicherweise einen Meer-Zugang hat. Jedenfalls ist das Gefühl wie auf einem See, so ruhig und verträumt ist es hier. Wir kennen die anderen Jachties, an jedem Abend gibt es eine andere Einladung zum Wein, wir haben auch ein Stammlokal und zu guter Letzt vielleicht sogar die Möglichkeit hier eine der raren Muring-Tonnen als Dauerliegeplatz zu erwerben. Ein paar Tage noch und wir werden hier sesshaft, also müssen wir schleunigst weiter. Der heutige Aufbruch wurde nun durch starke Gewitter wieder abgebrochen, nächster Versuch ist für morgen Früh anberaumt. Unser Boardalltag ist hier sehr beschaulich: Schlafen bis die Sonne in der Nase kitzelt, Frühstücken mit Joghurt, Früchten und Tee, etwas später Kaffee mit Keksen und dann geht der Arbeitstag los. Einkaufen, Heimwerken am Schiff (da gibt es ja immer was zu tun), Ausflug mit Moped oder Dinghi, Schwimmen, Zusammenräumen, Kochen fürs Abendessen und dann Besuche machen. Mit kleinen Variationen könnte das noch lange so weitergehen. Besonders hat es mir die Unterwasserwelt angetan, seit Kindertagen in Griechenland habe ich kein so intaktes Meer mehr gesehen. Überall Leben, bunte Steine mit farbigen Bewuchs, Seeanemonen, Schnecken und eine Vielzahl von Fischen, bunt und neugierig. Den grauen Samt-Bewuchs, der die Küsten von Kroatien, Griechenland und der Türkei überzogen hat, gibt es hier nicht, es sieht so aus wie auf Thassos vor 35 Jahren. Die Segler-Gemeinde hat sich auch von der Zusammensetzung her geändert, es sind hier keine Charterbote vor Anker sondern hauptsächlich Langfahrt-Segler, die wie wir nach Westen wollen oder gerade von der Karibik wieder nach Europa zurückgekommen sind. Manche Schiffe haben wir bereits in Italien gesehen, wir haben den selben Weg.
Wir sind nun seit über vier Monaten unterwegs, die Zeit ist sehr schnell vergangen. Beim Reisen mit dem Schiff entwickelt sich auch eine gewisse Routine, der Tagesablauf wird stark von der Natur und den Wetterbedingungen beeinflusst. Die Tage vergehen schnell aber wir haben viel Zeit zu zweit und für uns, sind ständig in der freien Natur und leben einfach ohne den herkömmlichen Luxus, aber mit allem was wir brauchen. Langsam verändert sich unser Blickwinkel auf unser „altes“ Leben, wir haben so viel Zeit um uns mit uns selbst zu beschäftigen ohne die früheren Ablenkungen dass dies einfach Folgen haben muss 🙂