Vor ziemlich genau 12 Jahren, knapp vor Weihnachten 2012, haben wir die KALI MERA das erste Mal in Kroatien gesehen und sofort gewusst, dass das unser Boot werden wird. Gut zwei Jahre später, im März 2015, haben wir sie und uns in der Türkei auf die große Fahrt vorbereitet und begonnen unser Reisetagebuch als Blog zu schreiben, nicht um uns in der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern um für unsere Familie und Freunde Erlebnisse und Eindrücke festzuhalten. Wir haben uns Kameras besorgt, die Freude am Fotografieren entdeckt und regelmäßig Text- und Bildberichte veröffentlicht.
Es war uns damals noch gar nicht bewusst wie wertvoll diese Erinnerungen für uns selbst noch werden würden, so vieles ist schon den stetigen Strom des Vergessens hinabgetrieben und so manches Mal haben wir selbst in unsere Aufzeichnungen hineingeschmökert und immer wieder neues „entdeckt“. Auch unser Stil hat sich geändert, es wurden andere Fotos, andere Texte, ein anderer Humor lacht uns an und so manches Mal auch aus. Jagte anfangs noch ein „Abenteuer“ das andere, wechselten Highlights und Hoppalas in schnellem Rhythmus, so wurde unser Blog langsamer, ruhiger, routinierter, ich ertappe mich beim Schreiben von Texten, die schon längst geschrieben wurden. Die Abstände zwischen einzelnen Beiträgen wurden länger, manches wurde schon nicht mehr als „würdig aufgeschrieben zu werden“ eingestuft. Und einige Erlebnisse haben wir mit Verspätung verfasst, schon nicht mehr unter dem Eindruck des vor kurzem Erlebten geschrieben. Aufgeschrieben haben wir für uns das, was wir nicht vergessen wollten, ohne zu große Lücken. Unsere Segelreisen sind kürzer geworden, die Landreisen länger, und neben den vielen Ausflügen vom Boot aus machten wir – zurück in Europa – viele Roadtrips mit unserem Camper, die nicht in den Blog hineingefunden haben (zu wenig Salzwasser, zu viel Reifengummi und Diesel, zu wenig „Weltumsegelung“). Immer noch bin ich nicht sicher ob wir dies nicht doch zusammenführen sollten, unseren Erinnerungen würde es jedenfalls gut tun.
Einen „Roadtrip“ der besonderen Art aber, den werden wir nun mit einiger Verspätung nachholen, den Abschluss der Segelsaison 2024 in Mexiko, geschehen im vergangenen März. – Die Reise mit dem El Chepe zum Copper Canyon und ins nördliche Mexiko, die schönste Zugsreise die wir bisher gemacht haben, noch schöner als die abenteuerliche Fahrt mit der Murtalbahn von Murau nach Tamsweg 😊.
Nach dem „Einsommern“ der KALI MERA buchen wir den Reisebus von Mazatlan nach Los Mochis, bepackt wie ein Muli kommen wir an der Haltstelle in Mazatlan an, im Gegensatz zum Bus sind wir pünktlich. Laut Reiseberichten sind die Überlandbusse in Mexiko bequem, also freuen wir uns auf die Fahrt. Reisberichten ist aber nicht zu trauen (Leser, aufgepasst!), auf unseren vorreservierten Sitzen wohnt schon eine Familie, nach kurzer Diskussion werden andere Sitze für uns freigeräumt, diese entpuppen sich als Folterinstrumente. Bei einem Sitz ist die Lehne nicht mehr fixierbar, wenn man mit viel Kraft den Rücken nach hinten drückt sitzt man einigermaßen bequem, sobald die Kraft ausgeht wird man unbarmherzig wie ein Klappmesser von der starken Feder (die funktioniert bestens) nach vorne gedrückt. Die Fahrt soll sechs Stunden dauern, also vereinbaren wir einen regelmäßigen Wechsel am Fitness-Stuhl. Aus den sechs Stunden werden 10, da zwischendurch der Motor den Geist aufgibt und am Strassenrand wiederbelebt werden muss. Kurz nach Mitternacht nimmt der Fahrer eine Autobahn-Abfahrt, bleibt stehen und erklärt uns, dass wir nun am Ziel seien. Da stehen wir nun, mit schweren Reisetaschen, in der Mitte von Nirgendwo, wo das Kartell herrscht und die Polizei nicht gerne hinfährt. Es gelingt uns dann doch noch über Uber einen Transport in die Zivilisation und zum Hotel zu finden, Ende gut – alles gut.
Am nächsten Tag geht es zeitig in der Früh los, wir müssen zum Bahnhof, ein ganz besonderes Zugsabenteuer liegt vor uns: Mit dem El-Chepe zum Copper Canyon.
Die eingleisige Strecke führt von Los Mochis an der Pazifik-Küste hinauf auf 2.450 m Seehöhe zur Barranca del Cobre, einem System von Canyons das nicht nur viermal so groß ist wie der Grand Canyon ist, die gewaltigen Einschnitte in den Fels sind auch noch tiefer als beim kleinen Bruder in den USA. An der Eisenbahn wurde 100 Jahre gebaut, begonnen wurde 1861, Ziel war es für Texas und New Mexico einen Zugang zum Pazifik zu schaffen, der Naturhafen von Topolobampo bei Los Mochis war dafür ideal, die technischen Herausforderungen für die Eisenbahn gewaltig, der mächtige Gebirgszug der Sierra Madre Occidental musste überquert werden.
Der Touristen-Zug mit Speisewagen, First Class Salonwagen, Bar und offenem Panoramawagon fährt zweimal die Woche die Strecke bis Creel, weiter nach Chihuahua ist dann nur noch der „normale“ Güter und Personenzug unterwegs. Es gibt auf der Strecke mehrere Stopps an denen man Zwischenstation machen und dann nach mindestens zwei Übernachtungen mit dem nächsten Zug weiterfahren kann. Wir machen in Barrancas del Cobre / Divisadero und dann in Creel Halt, um uns einen kleinen Teil der fantastischen Landschaft zu erwandern.
Schon die Zugfahrt selbst ist ein ist ein Erlebnis das ich schwer in Worte fassen kann. Wir starten in den Tropen, dann wechseln sich die Palmen mit Kakteen ab, es wird karg und trocken, es geht durch eine Steppenlandschaft und dann beginnen sich die Geleise unermüdlich nach oben zu schrauben. Unzählige Tunnels und noch viel mehr teils spektakuläre Brücken (es sind 37 Tunnel und 86 Brücken, aber unzählig klingt besser) machen die Fahrt durch eine faszinierende Landschaft noch aufregender und abwechslungsreicher. Je höher wir kommen umso kühler wird die Luft, wir verbringen fast die gesamte Fahrt im offenen Panoramawagen ganz am Ende des Zugs. Anfangs ist der Wagen noch „verglast“, aber sobald wir die Zivilisation verlassen werden die Scheiben versenkt und wir sind „im Freien“ (der Kellner klärt uns auf: der Wagen wird erst dann geöffnet, wenn wir so weit von Los Mochis weg sind, dass keine Kinder, die gerne Steine in den Zug werfen, an der Strecke sind).
Die Kulisse um uns wird immer spektakulärer, immer höher hinauf ins Gebirge kommen wir, rund um uns ist die wilde unberührte Natur der Sierra Tahumara, anfangs versuchen wir noch alles zu Fotografieren und zu Filmen, und irgendwann stehen wir nur noch am Fenster, der Wind bläst uns ins Gesicht und dass sich nun schon zum fünften mal die gleichen „Rock-Klassiker“ aus den Boxen mit dem Zugslärm mischen stört uns nicht im Geringsten, die Landschaft um uns nimmt stundenlang all unsere Aufmerksamkeit gefangen.
Fast sieben Stunden dauert die erste Etappe, dann sind wir in Barranca del Cobre (der Kupfer Schlucht, die nicht wegen dem Kupfer, das dort auch vorkommt so heißt, sondern wegen der wunderbaren roten Farbe, in die die Sonne die Felswände taucht), dort wo die sieben gewaltigen Canyons sich treffen. Jetzt wird es mit dem Beschreiben schon immer schwieriger, weil ich die Superlative schon für die Zugfahrt verbraucht und keine mehr frei habe, genau jetzt wo ich sie brauchen würde. Zwei Tage verbringen wir in Divisadero, wir wandern mit und ohne Guide durch die Berge, zischen auf kilometerlangen Ziplines mit bis zu 100kmH über Canyons, sind gute Touristen und kaufen Original Tarahumara Schmuck und füttern den offenen Kamin in unserer Unterkunft in der Nacht mit riesigen Holz-Prügeln um nicht zu erfrieren. Es ist das Gebiet der Rarámuri (oder Tarahumara), der Bergläufer. Seit Generationen sind die Menschen hier berühmt für Ihre Fähigkeit stundenlang in hohem Tempo barfuß oder mit einfachen Sandalen durch die Berge zu laufen. Strassen gibt es hier so gut wie keine, aber die braucht ein Rarámuri nicht. Was es hier aber gibt das ist das Kartell, in den Bergen sind auch die Felder der Drogenvereine, mit denen man sich in Mexiko nicht unbedingt anlegen sollte.
Zwei Tage später kommt der El Chepe wieder vorbei, spuckt eine gute Ladung Touristen aus und verschluckt uns im Austausch, weiter geht’s nach Creel. In Divisadero war Einsamkeit angesagt, die Unterkünfte sind in den Bergen, weil weg von jeglichem Trubel, Creel ist da schon aus anderem Holz geschnitzt. Ein riesiger mexikanischer Abenteuer Spielplatz erwartet uns dort, Touren, Quads, alle Arten von Outdoor Aktivitäten, eine Bierbrauerei, unzählige Kleidergeschäfte die alle die gleichen traditionellen Kleidungsstücke verkaufen. Auch wir decken uns mit wärmeren Sachen ein, eine dicke Strickhaube rettet mich vor dem Erfrieren, in der Nacht wird es eisig kalt und in der Früh liegt Schnee.
Wir wollen keine „guided Tour“ machen sondern stellen uns selbst eine Wanderung zusammen und entkommen dem ganzen Trubel „per pedes“. Es ist kalt und der eisige Wind weht uns den Wüstensand ins Gesicht, aber tapfer wandern wir in das Tal der „Frösche“ und der „Mönche“. Es sind surreal anmutende riesige Felsformationen in denen wir stundenlang herumklettern, wie Ameisen im Steingarten eines größenwahnsinnigen Künstlers. Ich habe mich bei der Planung etwas vertan und war etwas zu optimistisch was unsere Reichweite betrifft, jedenfalls laufen wir Kilometer um Kilometer immer tiefer in „die Wildnis“ hinein, niemand sonst ist so verrückt diese Tour zu Fuß zu machen, hin und wieder braust ein riesiger Geländewagen vorbei und zieht eine mächtige Staubfahne hinter sich her, der Sand knirscht zwischen den Zähnen und die Blasen wachsen an den Füßen. Wir sind auf der Suche nach den „Mönchen“, große Monolithen sollen es laut unserer Recherche sein, und hin und wieder sehen wir auch wirklich solche Felsnadeln aus der Ferne. Irgendwann wird es uns zu bunt und wir beschließen, dass die Figuren in der Ferne wohl die Mönche gewesen sein werden, nicht schlecht aber auch nichts wofür wir uns die Schinderei antun hätten müssen. Ein kleines Stück wollen wir noch gehen und dann wieder umdrehen, damit wir noch vor Einbruch der Dunkelheit zurückkommen. Und dann – es ändert sich die Landschaft, ein neues Tal tut sich auf, und unsere Augen werden groß und der Mund bleibt offen (nur kurz, wegen dem Sand der sofort hineinfliegt): Diesmal hat der Reiseführer gelogen, die Wirklichkeit toppt alle Bilder die wir davon gesehen haben. In welcher Stimmung war die Baumeisterin vor 30 Millionen Jahren nur, als sie das alles geschaffen hat? „Mönche“ werden die riesigen Steinsäulen genannt, aber der andere Name „Valle de los penes erectos“ („Tal der erigierten Penisse“) passt wohl deutlich besser.
Wir können uns schwer von diesem magischen Ort trennen, aber es wird spät und der Heimweg ist lang. Wir versuchen noch eine Touristen-Gruppe zu finden um mit denen mitzufahren, aber wir sind schon alleine. Nur beim kleinen Kiosk am Eingang ist noch jemand, und der nette junge Mann ist bereit uns mit seinem Pickup nach Creel zurückzubringen. Wie üblich entwickelt sich sofort eine angeregte Unterhaltung mit Tadeja, ich höre zu, und statt uns einfach nach Creel zurückzuführen gibt es noch eine private Sight-Seeing-Tour damit wir auch auf keinen Fall eine Sehenswürdigkeit von Creel verpassen. Über Stock und Stein klettert der der Pickup, durch den Wald, über einen Berg, zu einem See, zu den Schamanen in ihren Höhlen, und als wir wieder in der Pension sind ist es schon stockdunkel, wir sind hungrig wie zwei Bären und hundemüde. Der Hunger gewinnt, die Erschöpfung zieht den Kürzeren, eine zähe Suche nach einem geeigneten Lokal (zu ungemütlich, zu kalt, geschlossen, falsche Speisekarte, mies bewertet, zu gut bewertet, schlechte Aura…) endet dann doch noch erfolgreich in einer Mischung aus Cowboy-Saloon und Almhütte in der Bier gebraut wird und eine lokale Spezialität serviert wird (wir bekommen eine kleine dünne und teure Pizza serviert die aber ganz anders heißt). Tadeja trinkt ganz alleine fast ein ganzes Glas Bier!
Am nächsten Tag legt der Schneefall zu und unser Bus nach Chihuahua ist so pünktlich wie die deutsche Bahn, die Straßen sind gesperrt und es heißt warten, warten, warten. Mit viel Verspätung geht es dann aber doch noch weiter nach Chihuahua und wir können die Wollmützen wieder verpacken und auf T-Shirts umsteigen.
Chihuahua gefällt uns, eine Stadt die wir entspannt zu Fuß erkunden können, nicht allzu groß und mit viel Geschichte, die man in den Museen teilweise hautnah erleben kann. Ein besonderes Ausstellungsstück ist dabei das Auto von Pancho Villa, in dem der große Revolutionär von Kugeln durchsiebt wurde. In der ganzen Stadt weht noch ein Hauch der „großen mexikanischen Revolution“, uns gefällt es hier für zwei Tage, und dann sitzen wir schon im Flugzeug nach Mexiko City.
Den Tag in Mexiko City nutzen wir um wieder einmal das Nationalmuseum zu besuchen, für mich das schönste Museum der Welt (zumindest das schönste das ich kenne), und dann geht es wieder zurück nach Wien, in den Frühling 😊.